Wenn die Fohlen zur Welt kommen, herrscht immer eine große Aufbruchstimmung. Wir züchteten auf unserer Ranch in Arizona zum ersten Mal Appaloosapferde und ich träumte von Auszeichnungen und begierigen Käufern. In diesem ersten Jahr unserer Zucht verwandelten bereits neun zierliche Appaloosafohlen mit ihrem schimmernden Fell unsere Weiden in eine farbenfrohe Landschaft. Sie hatten strahlend helle Stirnflecken und ihre Kruppen waren übersät mit weißen Flecken und Punkten, als ob sie in Seifenlauge getaucht wären.
Wir erwarteten das zehnte Fohlen und ich war mir sicher, dass es das gesprenkeltste von allen werden würde. Der Vater war ein Zuchthengst mit Walnussgroßen Flecken auf dem ganzen Körper und sein mehrfarbiger Schweif reichte hinunter bis auf den Boden. Das Fell der Mutter wies tausende Pfenniggroßer Punkte auf. Ich hatte bereits einen Namen für das ungeborene Fohlen: Starbrust.
"Mit Pferden ist das so eine Sache", versuchte mich mein Mann Bill zu bremsen. "Zum Schluss kommt oft etwas ganz anderes heraus, als man sich vorgestellt hat."
In der Nacht, in der das Fohlen zur Welt kommen sollte, beobachtete ich die Mutter über einen Monitor, den Bill in unserem Schlafzimmer installiert hatte. Ich sah den Glanz der schweißüberströmten Stute, ihre weit aufgerissenen Augen waren voller Angst. Der Gebärvorgang dauerte bereits mehrere Stunden, als ich eindöste. Ich erwachte ruckartig. Drei Stunden waren vergangen! Ich schaute zum Monitor und sah die Stute flach auf der Seite liegen. Die Geburt war vorbei. Aber wo war das Fohlen?
"Bill, wach auf!" Ich schüttelte ihn kräftig. "Jemand hat das Fohlen gestohlen!" Wildhunde, Kojoten und andere Raubtiere schossen mir durch den Kopf. Es dauerte nicht lange und wir standen im Dämmerlicht des Pferchs. "Mama, wo ist dein Baby" Ich weinte, als ich auf die Knie sank, um die Stute zu streicheln.
Plötzlich erhob sich ein Kopf aus dem Schatten - klein, dunkel und hässlich. Als das Geschöpf mühsam versuchte auf die Beine zu kommen, wurde mir klar, warum ich es nicht auf meinem Bildschirm gesehen hatte. Es hatte keinen weißen Flecken und keine auffallende Zeichnung. Unser weibliches Füllen war braun wie die Erde.
"Ich kann es nicht glauben", sagte ich, als wir in die Hocke gingen, um es näher zu begutachten. "Dieses Fohlen hat aber auch nicht ein einziges weißes Haar!" Weitere unerwünschte Merkmale kamen zum Vorschein: eine schwülstige Stirn, eine hässliche Schrägnase, herunterhängende Ohren wie bei einem Eselshasen und ein fast Haarloser Stummelschwanz.
"Sie weist die Merkmale ihrer Vorfahren auf", sagte Bill. Ich wusste, dass wir beide im Moment das Gleiche dachten: "Wir werden dieses Fohlen niemals verkaufen können. Wer will schon einen Appaloosa ohne Zeichnung?"
Als unser ältester Sohn Scott am nächsten Morgen zur Arbeit erschien und unseren Neuzugang sah, nahm er kein Blatt vor den Mund.
"Was sollen wir mit so einem hässlichen Ding?", fragte er.
Die Ohren des Fohlens hatten sich in der Zwischenzeit aufgerichtet. "Sie sieht aus wie ein Maultier", sagte Scott. "Niemand wird sie haben wollen."
Unsere jüngeren Mädchen Becky und Jaymee, fünfzehn und zwölf Jahre alt, stellten uns ebenfalls Fragen. "Woran erkennt man überhaupt, dass sie ein Appaloosa ist?", fragte Becky. "Hat sie die Flecken wenigstens unter ihrem Fell?"
"Nein", sage ich zu ihr, "sie ist nur im Innern ein Appaloosa."
"Also hat sie die Flecken auf ihrem Herzen", sagte Jaymee. "Wer weiß", wunderte ich mich, "vielleicht hat sie dort tatsächlich welche."
Von Anfang an schien das anhängliche Fohlen zu merken, dass es sich von den anderen jungen Pferden unterschied. Besucher beachteten es kaum und wenn sie es taten, behaupteten wir, dass wir die Mutter nur vorübergehend zur Pflege hätten. Niemand sollte wissen, dass unser wundervoller Hengst der Vater dieses Fohlens war.
Seit kurzem fiel mir auf, dass die kleine Stute zunehmend Gefallen an menschlicher Gesellschaft fand. Zusammen mit seiner Mutter war sie zur Fütterung immer zuerst am Gatter und wenn ich sie am Hals kraulte, schloss sie zufrieden die Augen. Es dauerte nicht lange und sie stöberte mit der Schnauze in meiner Jackentasche, zerkaute meine Knöpfe und öffnete sogar das Gatter, um mir zu folgen und ihren Kopf an meiner Hüfte zu reiben. Ein sehr ungewöhnliches Verhalten für ein Fohlen!
Unglücklicherweise hatte sie einen gewaltigen Appetit. Und je größer sie wurde, umso hässlicher sah sie aus. "Wo werden wir jemals ein Zuhause für dieses Fohlen finden?, fragte ich mich.
Eines Tages kaufte ein Mann einen unserer besten Appaloosas für einen Zirkus. Unverhofft erblickte er das braune Fohlen mit dem Stummelschwanz. "Dies ist kein Appoloosa, nicht wahr", fragte er. "Es sieht aus wie ein Esel." Da ich wusste, dass er es auf Zirkuspferde abgesehen hatte, ergriff ich die Gelegenheit beim Schopfe. "Sie werden sich wundern", sagte ich, "dieses Fohlen hat mehr Tricks auf Lager als ein Koch im Schnellrestaurant. Es kann einen Handschuh aus meiner Jackentasche holen und unter Zäunen hindurchklettern. Es steigt in Wassertröge und kann Leitungshähne umstellen."
"Ein richtig kleiner Teufel, was?"
"Nein", antwortete ich schnell und fügte - einer Eingebung folgend - hinzu: "Im Gegenteil, ihr Name ist Angel!"
Er kicherte. "Leider brauchen wir eine auffallende Färbung", erklärte er mir. "Die Leute mögen am liebsten gefleckte Pferde."
Im Laufe der Zeit erfand Angel - wie wir sie nun nannten - immer neue Kunststücke. Am besten gefiel ihr, Gatter zu öffnen, um an der unbeobachteten Seite der Weide an Futter zu kommen.
"Sie ist ein richtiger Houdini", bewunderte sie Bill.
"Sie ist eine richtige Strafe", sagte Scott, der sie immer wieder einfangen musste.
"Du musst dich mehr auf sie einlassen", versuchte ich ihm zu erklären. "Du kümmerst dich die ganze Zeit nur um die anderen Einjährigen und hast mit Angel nur dann zu tun, wenn du sie anschreist."
"Wer hat schon die Zeit, sich um ein störrisches Pferd zu kümmern? Außerdem hat Dad gesagt, dass wir sie mit zur Auktion nehmen." "Was? Ihr wollt sie verkaufen?" Ich stellte Bill zur Rede. "Bitte gib ihr eine Chance und lass sie auf der Ranch aufwachsen", flehte ich ihn an. "Dann kann Scott sie einreiten, wenn sie zwei ist. Sie hat ein gutmütiges Wesen und wird dann bestimmt für irgendjemand von Nutzen sein." "Ich schätze, ein Pferd mehr können wir verkraften", sagte er. "Wir schicken sie auf die Weide im Osten. Dort wächst zwar nicht so viel Gras, aber ..." Angel war wenigstens für den Moment in Sicherheit.
Zwei Wochen später stand sie am Hauptgatter und fraß das Trockenfutter aus der Schale unseres Wachhundes. Sie hatte die Kette des Weidengatters abgestreift und sich selbst und zehn weitere Pferde herausgelassen. Als Scott und Bill die Pferde endlich zusammengetrieben hatten, hing Bills Geduld nur noch an einem seidenen Faden.
Im Laufe der Zeit nahmen ihre Kunststücke zu. Wenn Bill und Scott mit dem Auto zur Weide gefahren waren, fraß sie das Gummi von den Scheibenwischern. Wenn das Fenster offen gelassen wurde, schnappte sie sich oft einen Lappen, einen Handschuh oder ein Notizbuch vom Vordersitz und rannte davon wie der Wind.
Überraschenderweise wurde Bill gegenüber Angels Streichen immer nachsichtiger. Wenn jemand auftauchte, der Appaloosapferde kaufen wollte, kam sie in vollem Galopp angerannt, bremste abrupt in zehn Meter Entfernung und kam rückwärts auf einen zu, um am Hinterteil gekrault zu werden. "Wir haben hier unseren eigenen Zirkus", erzählte Bill dann den Käufern. Und selbst der dichte Schnurrbart von Scott konnte ein kleines Lächeln nicht verbergen.
Die Jahreszeiten gingen dahin. Glühende Sonne wechselte mit Regen und brachte Millionen von Fliegen. Eines Tages, als Angel zweieinhalb Jahre alt war, sah ich, wie Scott sie zu einer Scheune führte. "Dieser dumme Schwanz bietet ihr überhaupt keinen Schutz, erklärte er mir. "Ich mache ihr jetzt einen neuen." Scotts Gefühle für das Pferd hatten sich offensichtlich geändert.
Am nächsten Morgen musste ich schmunzeln, als Scott zwei Dutzend hellgelbe Hanfkordeln schnitt, sie zu einem langen Mopp zusammenband und mit Klebeband an Angels bandagiertem Schweif festmachte. "So", sagte er, "jetzt sieht sie fast wie ein normales Pferd aus."
Scott hatte sich entschlossen, Angel zum Reiten "einzubrechen". Bill und ich saßen auf dem Koppelzaun, als er ihr den Sattel auflegte. Angel machte einen Buckel und ich flüsterte: "Gleich haben wir hier ein Rodeo." Aber als Scott den Sattelgurt um ihren Bauch schnürte, wehrte sie sich nicht - im Gegensatz zu den meisten jungen Pferden. Sie ließ es einfach geschehen.
Nachdem Scott aufgessen hatte und sanften Druck mit den Knien ausübte, kam das willige Herz des Appaloosas zum Vorschein. Er ließ sie vorwärts gehen und sie befolgte seinen Befehl, als ob sie schon seit Jahren geritten worden wäre. Ich streckte meine Hand aus und kraulte ihre hervorstehende Stirn. "Eines Tages wird aus ihr ein wunderbares Pferd zum Ausreiten", sagte ich. "Bei ihrem Temperament könnte sie auch zum Polospiel taugen", antwortete Scott. "Oder sie könnte das Pferd für ein großes Kind sein." Selbst Scott machte sich inzwischen Gedanken um unseren braunen Appaloosa mit dem lustigen Schweif.
Wenn die neuen Fohlen zur Welt kamen, wieherte Angel die Neugeborenen an, als wären sie ihre eigenen. "Wir sollten sie decken lassen", sagte ich zu Bill. "Sie ist vier. Stell dir vor, was für eine gute Mutter sie mit ihrem großen Herzen abgeben würde."
Bill war von meinem Vorschlag begeistert und Scott ebenfalls. "Die Leute kaufen oft Stuten, die schon mal gedeckt worden sind", sagte er. "Vielleicht finden wir dann jemanden, der sie aufnimmt." Ich sah in diesem Moment einen fürsorglichen Ausdruck auf Scotts Gesicht, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.
In den Wintermonaten, in denen sie trächtig war, schien Angel vergessen zu haben, aus ihrem Pferch auszubrechen. Im April schließlich, als ihr Termin immer näher rückte, gab es viel Regen und brachte unsere Felder zum Erblühen. Wir machten uns Sorgen, dass Angel wieder anfangen würde, durch die Gatter zu schlüpfen, um auf die saftigsten Weiden zu gelangen.
Eines Morgens saß ich gerade beim Frühstück, als Scott in der Küchentür stand. Seine haselnussbraunen Augen verschwanden unter der breiten Krempe seines Cowboyhuts. "Komm bitte mit, wir müssen uns um Angel kümmern", sagte er mit ruhiger Stimme. "Sie ist letzte Nacht aus ihrem Pferch ausgebrochen."
Ich versuchte meine Angst zu unterdrücken und folgt Scott zu seinem Pick-up. "Sie hat ihr Fohlen irgendwo zur Welt gebracht", sagte er, "aber Dad und ich können es nicht finden. Sie stirbt ..." Ich hörte, wie seine Stimme stockte. "Es sieht so aus, als ob sie versucht hat nach Hause zu kommen."
Als wir bei Angel ankamen, kniete Bill neben ihr. "Wir können nichts mehr für sie tun", sagte er und deutete auf die blauen Wildblumen im saftig grünen Gras, die für ein hungriges Pferd leicht durch den Stacheldraht hindurch erreichbar waren. "Narrenkraut. Manche Pferde sind ganz wild darauf. Und manchen bringt es den Tod."
Ich legte Angels großen Kopf in meinen Schoß und streichelte sie hinter den Ohren. Scotts Augen waren feucht. "Die beste Stute, die wir jemals hatten", murmelte er.
"Angel!", flehte ich. "Bitte verlass uns nicht!" Ich unterdrückte meinen Schmerz und fuhr mit der Hand über ihren Nacken. Sie atmete schwer. Dann ging ein Zucken durch ihren Körper und ich schaute in zwei Augen, die nichts mehr sehen konnten. Angel war tot.
Ich war wie betäubt, als ich Scott nur wenige Meter entfernt rufen hörte. "Mom! Dad! Kommt und schaut euch dieses Fohlen an!"
Tief im würzig duftenden Gras lag ein zartes Hengstfohlen. Ein einzelner Fleck schmückte seinen Kopf und sein Rücken und seine Hinterläufe waren herrlich weiß gesprenkelt - ein reinrassiger, strahlend schöner Appaloosa. "Starbrust", flüsterte ich.
Aber irgendwie ging es nicht mehr um eine auffallende Zeichnung. Seine Mutter hatte uns oft gelehrt, dass es nicht darauf ankommt, was man von außen sieht, sondern was sich tief im Herzen befindet.
Penny Porter
Aus: "Hühnersuppe für die Seele - Für Tierfreunde"
Jack Canfield / Mark Victor Hansen
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Hallo Paulinchen,
AntwortenLöscheneine sehr schöne Geschichte.
Und wenn man sein Leben mit Tieren teilt, versteht man sie sogar. Es gibt viele Dinge im tierisch-menschlichen Bereich, die man verstandesmäßig nicht fassen oder begreifen kann. Wenn man sich aber auf Tiere einlässt, wird man immer wieder solche oder ähnliche
Erfahrungen machen.