"An das Publikum
O hochverehrtes Publikum
sag mal: Bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: "Das Publikum will es so!"
Jeder Finanzfritze sagt: "Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!"
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
"Gute Bücher gehn eben nicht!"
Sag mal Publikum:
Bist du wirklich so dumm?
So dumm, dass in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte...
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?
Ja dann...
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist als nur ein Grießbrei-Fresser?
Ja, dann...
Ja, dann verdienst dus nicht besser."
Theobald Tiger in: Die Weltbühne, 7.7.1931
Immer wenn ich diesen Text lese, stelle ich mir vor, Kurt Tucholsky ist als Zeitreisender unterwegs und besucht unsere Zeit. Was würde er denken? Ich glaube, er würde die Hände über dem Kopf zusammen schlagen und schnell das Weite suchen. Vielleicht hatte er die Hoffnung, dass seine Texte in der Zukunft mehr erreichen würden. Nun, diese Zukunft liegt noch in weiter Ferne.
Paulinchen
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Freitag, 12. März 2010
Samstag, 13. Februar 2010
Bonmot
"Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen: Nein!"
(Kurt Tucholsky)
(Kurt Tucholsky)
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