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Dienstag, 1. März 2011

Klassenzusammenkunft

Sie trafen sich, wie ehemals,
im ersten Stock des Kneiplokals.
Sie waren zehn Jahr älter.
Sie tranken Bier. (Und machten Hupp!)
Und wirkten wie ein Kegelklub.
Und nannten die Gehälter. 

Sie saßen da, die Beine breit,
und sprachen von der Jugendzeit
wie Wilde vom Theater.
Sie hatten, wo man hinsah, Bauch.
Und Ehefrau'n hatten sie auch.
Und fünfe waren Vater. 

Sie tranken rüstig Glas auf Glas
und hatten Köpfe bloß aus Spaß
und nur zum Hütetragen.
Sie waren laut und waren wohl
aus einem Guss, doch innen hohl,
und hatten nichts zu sagen. 

Sie lobten schließlich haargenau
die Körperformen ihrer Frau,
den Busen und dergleichen.
Erst dreißig Jahr, und schon zu spät!
Sie saßen breit und aufgebläht
wie nicht ganz tote Leichen. 

Da, gegen Schluss, erhob sich wer
und sagte kurzerhand, dass er
genug von ihnen hätte.
Er wünschte ihnen sehr viel Bart
und hundert Kinder ihrer Art
und gehe jetzt zu Bette. -

Den andern war es nicht ganz klar,
warum der Kerl gegangen war.
Sie strichen seinen Namen.
Und machten einen Ausflug aus.
Für Sonntag früh. Ins Jägerhaus.
Doch dieses Mal mit Damen.
Erich Kästner

Aus: "Doktor Erich Kästners Lyrischen Hausapotheke"

Sonntag, 19. September 2010

Offener Brief an Angestellte

Vorgesetzte muss es geben.
Angestellte müssen sein.
Ordnung ist das halbe Leben.
Brust heraus und Bauch hinein!
Vorgesetzte tragen feiste
Bäuche unter dem Jackett.
Feist ist an dem Pack das meiste,
und sie gehn nur quer ins Bett.

Sie sind fett aus Überzeugung.
Und der bloße Anblick schon
zwingt uns andre zur Verbeugung.
Korpulenz wird Religion!

In den runden Händen halten
sie Zigarren schussbereit.
Jede ihrer Prachtgestalten
wirkt, als wären sie zu zweit.

Manche sagen (wenn auch selten),
sie verstünden unsre Not.
Und wir kleine Angestellten
schmieren uns den Quatsch aufs Brot.

Atemholen sei nicht teuer,
sagen sie, und nahrhaft auch!
Und dann hinterziehn sie Steuer
und beklopfen sich den Bauch.

Nagelt ihnen auf die Glatzen
kalten Braten und Coupons!
Blast sie auf, und wenn sie platzen!
Gibt es schönre Luftballons?

Laßt sie steigen und sich blähen,
über Deutschland, hoch im Wind!
Bis sie alles übersehen,
weil sie Aufsichtsräte sind.

Wenn sie eines Tags verrecken,
stopft sie aus und weckt sie ein!
Tiere kann man damit necken,
Kinder kann man damit schrecken,
aber euch? Ich hoffe: Nein!
Erich Kästner


Gefunden in: "Erich Kästner - Lärm im Spiegel"

Samstag, 20. Februar 2010

Fantasie von Übermorgen

Und als der nächste Krieg begann,
da sagten die Frauen: Nein!
und schlossen Bruder, Sohn und Mann
fest in der Wohnung ein.
Dann zogen sie in jedem Land,
wohl vor des Hauptmanns Haus
und hielten Stöcke in der Hand
und holten die Kerle heraus.
Sie legten jeden übers Knie,
der diesen Krieg befahl:
die Herren der Bank und Industrie,
den Minister und General.
Da brach so mancher Stock entzwei.
Und manches Großmaul schwieg.
In allen Ländern gab's Geschrei,
und nirgends gab es Krieg.
Die Frauen gingen dann wieder nach Haus,
zum Bruder und Sohn und Mann,
und sagten ihnen, der Krieg sei aus!
Die Männer starrten zum Fenster hinaus
und sahen die Frauen nicht an...
(Erich Kästner)

Freitag, 19. Februar 2010

Jedermann bekannt

"Bei Vorbildern ist es unwichtig, ob es sich dabei um einen großen toten Dichter, um Mahatma Gandhi oder um Onkel Fritz aus Braunschweig handelt, wenn es nur ein Mensch ist, der im gegebenen Augenblick ohne Wimpernzucken gesagt oder getan hat, wovor wir zögern."
(Erich Kästner)

Mittwoch, 27. Januar 2010

Wiegenlied (väterlicherseits)

Schlaf ein, mein Kind! Schlaf ein, mein Kind!
Man hält uns für Verwandte,
doch ob wir es auch wirklich sind?
Ich weiß es nicht. Schlaf ein, mein Kind!
Mama ist bei der Tante ...

Schlaf ein, mein Kind! Sei still! Schlaf ein!
Man kann nichts Klügres machen.
Ich bin so groß. Du bist so klein.
Wer schlafen kann, darf glücklich sein.
Wer schlafen darf, kann lachen.

Nachts liegt man neben einer Frau,
die sagt: Laß mich in Ruhe.
Sie liebt mich nicht. Sie ist so schlau.
Sie hext mir meine Haare grau.
Wer weiß, was ich noch tue.

Schlaf ein, mein Kind! Mein Kindchen, schlaf!
Du hast nichts zu versäumen.
Man träumt vielleicht, man wär ein Graf.
Man träumt vielleicht, die Frau wär brav.
Es ist so schön, zu träumen ...

Man schuftet, liebt und lebt und frißt
und kann sich nicht erklären,
wozu das alles nötig, ist!
Sie sagt, daß du mir ähnlich bist.
Mag sich zum Teufel scheren!

Der hat es gut, den man nicht weckt.
Wer tot ist, schläft am längsten.
Wer weiß, wo deine Mutter steckt!Sei ruhig.
Hab ich dich erschreckt?
Ich wollte dich nicht ängsten.

Vergiß den Mond! Schlaf ein, mein Kind!
Und laß die Sterne scheinen.
Vergiß auch mich! Vergiß den Wind!
Nun gute Nacht! Schlaf ein, mein Kind!
Und, bitte, laß das Weinen...

Erich Kästner

Sonntag, 13. Dezember 2009

Das ohnmächtige Zwiegespräch

Der Chronist spricht:

Zur Macht gelangt nur, wer die Macht begehrt.
Ihm winkt sie zu. Ihm gibt sie dunkle Zeichen.
Und ihm befiehlt sie, eh sie ihm gehört:
"Stell unser Bett auf einen Berg von Leichen!"
Die Macht liebt den, der sie entehrt.
Denn sie ist eine Hure ohnegleichen.
Sie liebt die Mörder, und schläft mit Dieben.
Schaut in die Bücher! Dort steht's aufgeschrieben"

Und dann blickt hoch und von den Büchern fort!
Die alte Hure ist sich treu geblieben.
Noch immer liebt sie Gaunerei und Mord
und schläft wie einst mit Räubern und mit Dieben.
Sie beugt das Recht. Sie bricht ihr Wort.
Und immer gibt es Männer, die das lieben.
Das heilige Gesetz, nach dem sie leben.
ist alt und heißt: Wer hat, dem wird gegeben.

Seht ihr die Wolke, die am Himmel schwimmt?
Dahinter, sagt man, würden Engel schweben,
und alles, was man euch auf Erden nimmt,
das würde man euch droben wiedergeben.
Die Mächtigen beschwören, dass es stimmt.
Drum nehmt euch, eh man es euch nimmt, das
Leben!
Vielleicht könnt ihr zu guter Letzt als Leichen,
was euch als Lebenden misslang, erreichen.

Der Fragesteller meint:

Willst du diesen Spott nicht lassen?
Wickle dich nicht in Geduld.
Seine Gegner soll man hassen!
Ihr seid alt und habt die Schuld.

Weshalb ließt ihr denn den Tröpfen
und den Räubern die Gewalt?
Ihr mit euren Denkerköpfen,
ihr seid schuld. Nun seid ihr alt.

Wer nur redet und nicht handelt,
redet dumm und handelt schlecht.
Erst wenn ihr die Welt verwandelt,
seid ihr klug und habt ihr recht.

Wir sind jung und wollen wissen:
Weshalb habt ihr denn die Macht
nicht und nie an euch gerissen
und die Läuterung vollbracht?

Standet ihr denn stets daneben?
Habt ihr weiter nichts erreicht
als ein ziemlich langes Leben
und den Bart, den ihr euch streicht?

Der Chronist entgegnet:

Du willst die Dummheit stützen und dem Geist
die Macht, obwohl er sie nicht mag, verleihen?
Du willst, dass man der Macht die Macht entreißt?
Die Welt von der Gewalt befreien, heißt,
die Welt von den Gewaltigen befreien!

Drum jage dein Gewissen fort.
Es kann das Schießen nicht vertragen.
Du liebst die Menschen bis zum Mord?
Wirf dein Gewissen über Bord.
Ich weiß Bescheid und darf das sagen.

Du willst versuchen, was wir längst versuchten.
Es war uns nicht genug, dass wir die Macht
und ihre Kerle kunstgerecht verfluchten
und im Register unsrer Zeit verbuchten.
Wir wollten mehr. Wir haben mehr vollbracht.

Im Jahre 1940 waren
die Herrn der Erde wieder mal soweit.
Sie litten an zu vielen Friedensjahren.
zogen die Völker heftig an den Haaren
und brauchten wieder eine große Zeit.

Man ließ verschiedne Gegensätze klaffen,
weil so ein Schlachtfest Gründe haben muss.
Man gab den Völkern die modernsten Waffen,
ließ beides an die Landesgrenzen schaffen,
und etwas später fiel der erste Schuss.

Er traf, in Rom, den englischen Gesandten.
Der zweite Schuss traf Frankreichs Feldmarschall.
Der dritten traf den spanischen Infanten.
Es starben auch sechs Waffenlieferanten.
Man hörte die nun Schüssen überall.

Die Herrn der Erde stotterten Befehle.
Die Völker sahn sich unentschlossen an
und wollten sich noch immer an die Kehle.
Da fielen zweiundzwanzig Generäle!
Der Krieg war aus, bevor der Krieg begann.

Die Völker ließen ihre Waffen liegen.
Sie fuhren heim und waren wieder frei.
Das war der kürzeste von allen Kriegen.
Zweihundert Männer, mutig und verschwiegen,
gewannen ihn. Und ich war auch dabei.

Zweihundert Mann hatten die Krieg verboten.
Und sie bezahlten, wie sich das gehört.
Sie zahlten bar, mit dreiundachtzig Toten.
Die andern sind gesund zurückgekehrt ...

Der Fragesteller fragt:

Das war der Krieg, den ihr gewannt.
Mehr war euch leider nicht beschieden.
Das war ein Krieg, den ihr gewannt.
Warum gewannt ihr nicht den Frieden?

Der Chronist antwortet:

Weil die Vernunft nicht allzuoft gewinnt!
Denn auch die Menschheit folgt Naturgesetzen.
Und ich befürchte, dass sie ewig sind.
Wer sie verbessern will, muss sie verletzen.

Man darf die Völker ins Verderben hetzen,
weil das den Regeln ihrer Welt entspricht.
Doch sich der Bosheit hilfreich widersetzen,
das darf man nicht!

Der Krieg war aus. Wir waren nichts mehr wert.
Wir hatten viel getan und nichts verwandelt.
Die Macht liebt den, der sie entehrt.
Und auch der Mensch liebt den, der ihn mißhandelt.

Der Fragestellen behauptet:

Was euch mißlang, wird uns gelingen.
Das Ziel, das wir erreichen werden, heißt:
Die Welt zu ihrem Glßck zu zwingen!

Was sollen denn die Güte und der Geist,
wenn sich ihr Wesen nur an denen,
die selber gut und weise sind, erweist?

Das Glück der Welt, das wir so sehr ersehnen,
wird durch die Sehnsucht nicht erreicht.
Das Glück der Menscheit kostet Blut und Tränen!

Der Chronist resümiert:

Du liebst die Menschen nicht. Du hast es leicht.

Erich Kästner, aus: "Gesang zwischen den Stühlen"

Sonntag, 29. November 2009

Lob der Volksvertreter

Mann hält sie, wenn sie schweigen, für Gelehrte.
Nur ist das Schweigen gar nicht ihre Art.
Sie haben vor der Brust Apostelbärte
und auf den Eisenbahnen freie Fahrt.

Ihr seht sie eilends in den Reichstag schreiten.
Das Wohl des Volkes fördert ihren Gang.
Und würdet Ihr sie noch ein Stück begleiten,
dann merktet Ihr: sie gehn ins Restaurant.

Sie fürchten Spott, sonst nichts auf dieser Welt!
Und wenn sie etwas tun, dann sind es Fehler.
Es ist, zum Glück, nicht alles Hund, was bellt.
Sie fürchten nur die Wahl und nicht die Wähler.

Ihr Leben währet zirka siebzig Jahre,
und wenn es hochkommt -. Doch das tut es nie!
Das Volk steht auf vor jedem grauen Haare.
Das Volk steht immer auf! Das wissen sie.

Erich Kästner, aus "Lärm im Spiegel"

Samstag, 28. November 2009

Zeitgenossen, haufenweise

Es ist nicht leicht, sie ohne Haß zu schildern,
und ganz unmöglich geht es ohne Hohn.
Sie haben Köpfe wie auf Abziehbildern
und, wo das Herz sein müsste, Telefon.

Sie wissen ganz genau, dass Kreise rund sind
und Invalidenbeine nur aus Holz.
Sie sprechen fließend, und aus diesem Grund sind
sie Tag und Nacht - auch sonntags - auf sich stolz.

In ihren Händen wird aus allem Ware.
In ihrer Seele brennt elektrisch Licht.
Sie messen auch das Unberechenbare.
Was sich nicht zählen läßt, das gibt es nicht!

Sie haben am Gehirn enorme Schwielen,
fast als benutzten sie es als Gesäß.
Sie werden rot, wenn sie mit Kindern spielen.
Die Liebe treiben sie programmgemäß.

Sie singen nie (nicht einmal im August)
ein hübsches Weihnachtslied auf offner Straße.
Sie sind nie froh und haben immer Lust
und denken, wenn sie denken, durch die Nase.

Sie loben unermüdlich unsre Zeit,
ganz als erhielten sie von ihr Tantiemen.
Ihr Intellekt liegt meistens doppelt breit.
Sie können sich nur noch zum Scheine schämen.

Sie haben Witz und können ihn nicht halten.
Sie wissen vieles, was sie nicht verstehn.
Man muss sie sehen, wenn sie Haare spalten!
Es ist, um an den Wänden hochzugehn.

Man sollte kleine Löcher in sie schießen!
Ihr letzter Schrei ist fast ein dernier cri.
Jedoch sie haben viel zuviel Komplicen,
als dass sie sich von uns erschießen ließen.
Man trifft sie nie.

Erich Kästner, aus "Lärm im Spiegel"