Sonntag, 13. Dezember 2009

Das ohnmächtige Zwiegespräch

Der Chronist spricht:

Zur Macht gelangt nur, wer die Macht begehrt.
Ihm winkt sie zu. Ihm gibt sie dunkle Zeichen.
Und ihm befiehlt sie, eh sie ihm gehört:
"Stell unser Bett auf einen Berg von Leichen!"
Die Macht liebt den, der sie entehrt.
Denn sie ist eine Hure ohnegleichen.
Sie liebt die Mörder, und schläft mit Dieben.
Schaut in die Bücher! Dort steht's aufgeschrieben"

Und dann blickt hoch und von den Büchern fort!
Die alte Hure ist sich treu geblieben.
Noch immer liebt sie Gaunerei und Mord
und schläft wie einst mit Räubern und mit Dieben.
Sie beugt das Recht. Sie bricht ihr Wort.
Und immer gibt es Männer, die das lieben.
Das heilige Gesetz, nach dem sie leben.
ist alt und heißt: Wer hat, dem wird gegeben.

Seht ihr die Wolke, die am Himmel schwimmt?
Dahinter, sagt man, würden Engel schweben,
und alles, was man euch auf Erden nimmt,
das würde man euch droben wiedergeben.
Die Mächtigen beschwören, dass es stimmt.
Drum nehmt euch, eh man es euch nimmt, das
Leben!
Vielleicht könnt ihr zu guter Letzt als Leichen,
was euch als Lebenden misslang, erreichen.

Der Fragesteller meint:

Willst du diesen Spott nicht lassen?
Wickle dich nicht in Geduld.
Seine Gegner soll man hassen!
Ihr seid alt und habt die Schuld.

Weshalb ließt ihr denn den Tröpfen
und den Räubern die Gewalt?
Ihr mit euren Denkerköpfen,
ihr seid schuld. Nun seid ihr alt.

Wer nur redet und nicht handelt,
redet dumm und handelt schlecht.
Erst wenn ihr die Welt verwandelt,
seid ihr klug und habt ihr recht.

Wir sind jung und wollen wissen:
Weshalb habt ihr denn die Macht
nicht und nie an euch gerissen
und die Läuterung vollbracht?

Standet ihr denn stets daneben?
Habt ihr weiter nichts erreicht
als ein ziemlich langes Leben
und den Bart, den ihr euch streicht?

Der Chronist entgegnet:

Du willst die Dummheit stützen und dem Geist
die Macht, obwohl er sie nicht mag, verleihen?
Du willst, dass man der Macht die Macht entreißt?
Die Welt von der Gewalt befreien, heißt,
die Welt von den Gewaltigen befreien!

Drum jage dein Gewissen fort.
Es kann das Schießen nicht vertragen.
Du liebst die Menschen bis zum Mord?
Wirf dein Gewissen über Bord.
Ich weiß Bescheid und darf das sagen.

Du willst versuchen, was wir längst versuchten.
Es war uns nicht genug, dass wir die Macht
und ihre Kerle kunstgerecht verfluchten
und im Register unsrer Zeit verbuchten.
Wir wollten mehr. Wir haben mehr vollbracht.

Im Jahre 1940 waren
die Herrn der Erde wieder mal soweit.
Sie litten an zu vielen Friedensjahren.
zogen die Völker heftig an den Haaren
und brauchten wieder eine große Zeit.

Man ließ verschiedne Gegensätze klaffen,
weil so ein Schlachtfest Gründe haben muss.
Man gab den Völkern die modernsten Waffen,
ließ beides an die Landesgrenzen schaffen,
und etwas später fiel der erste Schuss.

Er traf, in Rom, den englischen Gesandten.
Der zweite Schuss traf Frankreichs Feldmarschall.
Der dritten traf den spanischen Infanten.
Es starben auch sechs Waffenlieferanten.
Man hörte die nun Schüssen überall.

Die Herrn der Erde stotterten Befehle.
Die Völker sahn sich unentschlossen an
und wollten sich noch immer an die Kehle.
Da fielen zweiundzwanzig Generäle!
Der Krieg war aus, bevor der Krieg begann.

Die Völker ließen ihre Waffen liegen.
Sie fuhren heim und waren wieder frei.
Das war der kürzeste von allen Kriegen.
Zweihundert Männer, mutig und verschwiegen,
gewannen ihn. Und ich war auch dabei.

Zweihundert Mann hatten die Krieg verboten.
Und sie bezahlten, wie sich das gehört.
Sie zahlten bar, mit dreiundachtzig Toten.
Die andern sind gesund zurückgekehrt ...

Der Fragesteller fragt:

Das war der Krieg, den ihr gewannt.
Mehr war euch leider nicht beschieden.
Das war ein Krieg, den ihr gewannt.
Warum gewannt ihr nicht den Frieden?

Der Chronist antwortet:

Weil die Vernunft nicht allzuoft gewinnt!
Denn auch die Menschheit folgt Naturgesetzen.
Und ich befürchte, dass sie ewig sind.
Wer sie verbessern will, muss sie verletzen.

Man darf die Völker ins Verderben hetzen,
weil das den Regeln ihrer Welt entspricht.
Doch sich der Bosheit hilfreich widersetzen,
das darf man nicht!

Der Krieg war aus. Wir waren nichts mehr wert.
Wir hatten viel getan und nichts verwandelt.
Die Macht liebt den, der sie entehrt.
Und auch der Mensch liebt den, der ihn mißhandelt.

Der Fragestellen behauptet:

Was euch mißlang, wird uns gelingen.
Das Ziel, das wir erreichen werden, heißt:
Die Welt zu ihrem Glßck zu zwingen!

Was sollen denn die Güte und der Geist,
wenn sich ihr Wesen nur an denen,
die selber gut und weise sind, erweist?

Das Glück der Welt, das wir so sehr ersehnen,
wird durch die Sehnsucht nicht erreicht.
Das Glück der Menscheit kostet Blut und Tränen!

Der Chronist resümiert:

Du liebst die Menschen nicht. Du hast es leicht.

Erich Kästner, aus: "Gesang zwischen den Stühlen"

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