Montag, 27. Juli 2009

Märchen sind Geschichten der Seele

Lieber Leser und Leserin,

immer wenn ich über meine Vorstellungen, wie Menschen mit einander umgehen sollten, etwas schreiben möchte, finde ich Texte, die mein Vorhaben zunichte machen. Es sind sehr oft Märchen, aber auch Kurzgeschichten, Erlebnisberichte, Gedichte und Zitate.

Da ich das Talent zu schreiben nicht wirklich habe, aber meinen Beitrag eine friedlichere und liebevollere Gesellschaft zu gestalten leisten möchte, gebe ich die Geschichten weiter, die mich berühren und Lernmaterial für mich sind.

Ein Freund am Telefon

Ein Leben ohne Freund ist wie ein Tod ohne Zeuge.
Spanisches Sprichwort

Noch bevor ich zu Ende gewählt hatte, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Es klingelte einmal, zweimal - dann nahm jemand den Hörer ab.
"Sie haben die falsche Nummer!", blaffte eine raue männliche Stimme. Verdattert wählte ich noch einmal.
"Sie haben die falsche Nummer, hab ich doch gesagt!", kam wieder die Stimme, und wieder drang nur noch das kurze Klicken des Hörers an mein Ohr, der eingehängt wurde.
Wieso wusste er, dass man mir eine falsche Nummer gegeben hatte? Damals arbeitete ich für die New Yorker Polizei. Ein Bulle ist darauf trainiert, neugierig zu sein - und sich einzumischen. Also wählte ich ein drittes Mal.
"Hey, was soll das?", sagte der Mann. "Schon wieder Sie?"
"Ja", erwiderte ich. "Ich hab mich gefragt, wieso Sie wussten, dass ich eine falsche Nummer hatte, obwohl ich noch gar nichts gesagt hatte."
"Na, dann überlegen Sie mal!" Wieder wurde der Hörer aufgeknallt.
Ich saß eine Zeit lang da und hielt den Hörer locker zwischen den Fingern. Ich rief den Mann zurück.
"Und? Haben Sie es jetzt kapiert?", fragte er.
"Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist ... dass niemand Sie je anruft."
"Genau!" Zum vierten Mal war die Leitung tot. Ich prustete vor mich hin und rief den Mann zurück.
"Und was wollen Sie jetzt?", raunzte er.
"Ich dachte, ich sollte mal anrufen ... einfach um Hallo zu sagen."
"Hallo? Und warum?"
"Na, wenn nie jemand Sie anruft, dachte ich, ich sollte es vielleicht mal tun."
"Na schön. Und wer sind Sie?"
Endlich war ich durchgekommen. Jetzt war er neugierig.
Ich erzählte ihm, wer ich war, und fragte ihn, wer er wäre.
"Adolf Meth mein Name. Ich bin achtundachtzig, und kein einziges Mal in den letzten zwanzig Jahren hat jemand sich bei mir so oft verwählt!" Wir lachten beide.
Wir unterhielten uns gut zehn Minuten. Adolf hatte keine Familie, keine Freunde. Alle, die ihm nahe gestanden hatten, waren gestorben. Dann entdeckten wir, dass wir etwas gemeinsam hatten: Auch er hatte fast vierzig Jahre lang, für die New Yorker Polizei gearbeitet. Als er mir über seine Zeit als Fahrstuhlführer dort erzählte, schien er interessiert, ja freundlich. Ich fragte ihn, ob ich ihn wieder anrufen dürfte.
"Warum wollen Sie das tun?", fragte er überrascht.
"Vielleicht können wir Telefonfreunde sein. Sie wissen schon, so ähnlich wie Brieffreunde."
Er zögerte. "Ich hätte nichts dagegen ... wieder einen Freund zu haben." Seine Stimme klang ein wenig unentschlossen.
Ich rief Adolf am nächsten Nachmittag an und auch ein paar Tage später. Man konnte sich gut mir ihm unterhalten, und er erzählte von seinen Erinnerungen an den Ersten und Zweiten Weltkrieg, an das Desaster mit Hindenburg und andere historischen Ereignisse. Er war faszinierend. Ich gab ihm meine private Telefonnummer und die vom Büro, sodass er mich anrufen konnte. Was er tat - fast täglich.
Es war nicht einfach nur Freundlichkeit gegenüber einem einsamen alten Mann. Die Gespräche mir Adolf waren wichtig für mich, denn auch ich hatte eine große Lücke in meinem Leben. Ich war in Waisenhäusern und bei Pflegefamilien groß geworden und hatte nie einen Vater gehabt. Nach und nach bekam Adolf für mich so etwas wie eine väterliche Bedeutung. Ich erzählte ihm von meinem Job und von den College-Kursen, die ich abends besuchte.
Adolf wuchs in die Rolle des Beraters hinein. Als wir über eine Meinungsverschiedenheit mit einem Vorgesetzen sprachen, bemerkte ich zu meinem neuen Freund: "Ich glaube, ich sollte die Sache ein für alle mal mit ihm klären."
"Warum die Eile?", meinte Adolf warnend. "Lass die Dinge sich beruhigen. Wenn du so alt bist, wie ich jetzt bin, weißt du, dass die Zeit vieles regelt. Wenn es schlimmer wird, kannst du immer noch mit ihm reden."
Es blieb lange still zwischen uns. "Weißt du", sagte er leise, "ich rede mit dir, wie ich mit meinem eigenen Jungen reden würde. Ich hab mir immer eine Familie gewünscht - und Kinder. Du bist zu jung, um zu wissen, wie sich das anfühlt.
Nein, ich war nicht zu jung. Ich hatte mir immer eine Familie gewünscht - und einen Vater. Aber ich sagte nichts; ich hatte Angst, den Schmerz nicht zurückhalten zu können, den ich schon so lange in mir fühlte.
Eines Abends erwähnte Adolf, dass er bald neunundachtzig würde. Ich kaufte ein Stück Holzfaserplatte und malte eine große Geburtstagskarte mit einem Kuchen und neunundachtzig Kerzen. Dann bat ich alle Polizisten meiner Dienststelle und sogar den Polizeichef, die Karte zu unterschreiben. Ich sammelte an die hundert Unterschriften. Ich wusste, dass das Adolf einen Riesenauftrieb geben würde.
Wir unterhielten uns jetzt seit vier Monaten am Telefon, und ich dachte, der Geburtstag wäre der richtige Zeitpunkt, sich persönlich kennen zu lernen. Deshalb beschloss ich, die Karte selbst zu überbringen.
Ich sagte Adolf nicht, dass ich kommen würde; ich fuhr einfach eines Morgens zu seiner Adresse und parkte das Auto ein Stück entfernt von dem Mietshaus, in dem er wohnte.
Ein Briefträger verteilte im Flur die Post, als ich das Gebäude betrat. Er nickt, als ich auf den Briefästen Adolfs Namen suchte. Da war er. Apartment 1 H, gerade einmal sechs Meter von da, wo ich stand.
Mein Herz hämmerte vor Aufregung. Würde die Chemie zwischen uns bei der persönlichen Begegnung genauso stimmen wie am Telefon? Ich spürte die ersten stechenden Zweifel. Vielleicht würde er mich genauso zurückweisen wie mein Vater? Ich klopfte an Adolfs Tür. Als niemand antwortete, klopfte ich fester.
Der Postbote sah von seinen Briefen auf. "Da ist keiner", meinte er.
"Ja", sagte ich und kam mir ein bisschen albern vor. "Wenn er an der Tür so antwortet wie am Telefon, kann das den ganzen Tag dauern."
"Sind Sie ein Verwandter oder was?
"Nein. Nur ein Freund."
"Tut mir wirklich Leid", sagte er ruhig, "Aber Mr. Meth ist vorgestern gestorben."
Gestorben? Adolf? Einen Augenblick lang verschlug es mir die Sprache. Schockiert und ungläubig stand ich da. Dann riss ich mich zusammen; ich dankte dem Briefträger und trat in die spätvormittägliche Sonne hinaus. Mit feuchten Augen ging ich zu meinem Auto.
Als ich um eine Ecke bog, sah ich eine Kirche, und eine Zeile aus dem Alten Testament fiel mir ein: Ein Freund liebt allezeit. Besonders im Tod, wurde mir klar. In diesem Augenblick hatte ich eine Erkenntnis. Oft bemerken wir erst, wie schön es ist, dass ein bestimmter Mensch in unserem Leben ist, wenn plötzlich etwas Trauriges passiert. Ich spürte jetzt zum ersten Mal, wie nah Adolf und ich uns gekommen waren. Es war mir leicht gefallen, und ich wusste, dass es mir beim nächsten Mal, mit meinem nächsten guten Freund, noch leichter fallen würde.
Langsam spürte ich, wie mir innerlich ganz warm wurde. Ich hörte Adolfs brummige Stimme schnauben: "Sie haben die falschen Nummer!" Dann hörte ich ihn fragen, warum ich wieder anrufen wollte.
"Weil du wichtig warst, Adolf" sagte ich laut zu mir selbst. "Weil ich dein Freund war."
Ich legte die Geburtstagskarte auf den Rücksitz meines Wagens und setzte mich ans Steuer. Bevor ich den Motor anließ, sah ich über die Schulter nach hinten. "Adolf" flüsterte ich, "ich hab nicht die falsch Nummer bekommen. Ich habe dich bekommen."
Jennings Michael Burch

Aus: "Hühnersuppe für die Seele Weitere Geschichten, die zu Herzen gehen"
Jack Canfield/Mark Victor Hansen

Egal wie oft ich diese Geschichte lese, sie berührt mich immer wieder auf´s Neue.

Donnerstag, 23. Juli 2009

"Betriebsanleitung" für gewisse Zeitgenossen

Wo sie am lautesten schreien,
werden sie am wenigsten handeln.

Wo sie eilfertig zustimmen,
zählen sie im stillen schon
ihre Vorteile und feixen über
deine Verluste.

Dort, wo sie "wenn und aber" zetern,
drücken sie sich vor Verantwortung
oder haben einfach kein Interesse.

Wo sie betroffen schweigen,
lauern gierig geschwätzige Zungen,
um das, was scheinbar betroffen machte,
zu zerreden.

Wo sie sich am heftigsten wehren,
sei wachsam!
Dort sitzt ihre Angst.

Entnommen aus: "Farbe will ich, nicht Schwarzweiss"
Verschenk-Texte von
Kristiane Allert-Wybranietz

Mittwoch, 22. Juli 2009

Der Fang seines Lebens

Die eindrücklichsten Morallektionen sind diejenigen, die nicht aus Büchern, sondern aus der Erfahrung stammen.
Mark Twain


Er war elf, und wann immer er die Gelegenheit dazu hatte, ging er zum Angeln zu der Anlegestelle, die zum Häuschen seiner Eltern auf einer Insel mitten in einem der New-Hampshire-Seen gehörte.
Einen Tag vor Eröffnung der Barschsaison waren er und sein Vater am frühen Abend zum Angeln gegangen; sie fingen Sonnenbarsche und Flussbarsche mit Würmern. Dann befestigte er einen kleinen Silberköder an der Angel und warf sie aus. Als der Köder die Wasseroberfläche traf, kräuselten farbige Wellen sich im Sonnenuntergang, und als der Mond über dem See aufging, wurden die Wellen silbern.
Als die Angelrute sich mächtig nach vorn bog, wusste er, dass am anderen Ende etwas Riesiges sein musste. Bewundernd beobachtete der Vater, wie geschickt der Junge den Fisch zur Anlegestelle manövrierte.
Schließlich zog er den erschöpften Fisch behutsam aus dem Wasser. Es war der größte, den er je gesehen hatte, aber es war ein Barsch.
Der Junge und der Vater sahen sich den stattlichen Fisch an, dessen Kiemen sich im Mondlicht auf und ab blähten. Der Vater zündete ein Streichholz an und sah auf seine Uhr. Es war zehn Uhr abends - zwei Stunden vor Saisoneröffnung. Er sah den Fisch und dann den Jungen an.
"Du musst ihn wieder ins Wasser tun, Sohn", sagte er.
"Dad!" schrie der Junge.
"Du wirst andere Fische fangen", sagte der Vater.
"Aber nicht so große wie diesen", schrie der Junge.
Er blickte über den See. Keine anderen Fischer oder Boote waren im Mondlicht zu erkennen. Er sah wieder seinen Vater an.
Obwohl niemand sie gesehen hatte und niemand je wissen würde, um welche Uhrzeit sie den Fisch gefangen hatten, wusste der Junge wegen der Klarheit in der Stimme seines Vaters, dass die Entscheidung nicht verhandelbar war. Langsam zog er den Haken aus der Lippe des riesigen Barsches und ließ ihn hinunter in das schwarze Wasser. Der mächtige Körper des Geschöpfs wand sich und verschwand. Der Junge nahm an, dass er einen so großen Fisch wohl nie mehr sehen würde.
Das war vor vierunddreißig Jahren. Heute ist der Junge ein erfolgreicher Architekt in New York City. Das Häuschen seines Vaters steht immer noch auf der Insel mitten im See. Er bringt seinen eigenen Sohn und seine Töchter zum Angeln an dieselbe Anlegestelle.
Und er hatte richtig vermutet. Er hat nie wieder einen so herrlichen Fisch gefangen wie den, den er in einer Nacht vor langer Zeit an Land gezogen hatte. Aber er sieht diesen Fisch jedes Mal vor sich, wenn er eine Frage der Moral entscheiden muss.
Denn bei der Moral geht es, wie sein Vater ihn gelehrt hat, einfach um richtig und falsch. Nur in der Praxis ist die Moral schwierig. Tun wir das moralisch Richtige, wenn niemand uns sieht? Weigern wir uns zu schludern, obwohl dann die Zeichnung termingerecht fertig würde? Weigern wir uns, unsere Aktiengeschäfte mit Insiderinformationen zu tätigen?
Wir würden uns weigern, wenn man uns als Kind beigebracht hätte, den Fisch zurück ins Wasser zu setzen. Denn wir hätten Ehrlichkeit gelernt.
Die Entscheidung, moralisch richtig zu handeln, lebt unverbraucht in unserer Erinnerung weiter. Die dazugehörige Geschichte erzählen wir stolz unseren Freunden und auch noch unseren Enkelkindern.
In dieser Geschichte geht es nicht darum, wie wir die Gelegenheit, Institutionen oder Menschen auszutricksen, genutzt haben; vielmehr handelt sie davon, wie wir das Rechte getan und daraus für alle Zeiten Kraft geschöpft haben.
James B. Lenfestey
eingereicht von Diana Von Holdt

Aus: "Hühnersuppe für die Seele weitere Geschichten, die zu Herzen gehen"
Jack Canfield/Mark Victor Hansen

Dienstag, 21. Juli 2009

Kinder lernen, was sie leben

Wenn Kinder mit Kritik leben,
lernen sie zu verurteilen.

Wenn Kinder mit Feindseligkeiten leben,
lernen sie zu kämpfen.

Wenn Kinder mit Angst leben,
lernen sie, ängstlich zu sein.

Wenn Kinder mit Mitleid leben,
lernen sie, mit sich selbst Mitleid zu haben.

Wenn Kinder mit Spott leben,
lernen sie, scheu zu sein.

Wenn Kinder mit Eifersucht leben,
lernen sie, was Neid ist.

Wenn Kinder mit Scham leben,
lernen sie, sich schuldig zu fühlen.

Wenn Kinder mit Toleranz leben,
lernen sie, geduldig zu sein.

Wenn Kinder mit Ermutigung leben,
lernen sie, zuversichtlich zu sein.

Wenn Kinder mit Lob leben,
lernen sie anzuerkennen.

Wenn Kinder mit Bestätigung leben,
lernen sie, sich selbst zu mögen.

Wenn Kinder mit Bejahung leben,
lernen sie, Liebe in der Welt zu finden.

Wenn Kinder mit Anerkennung leben,
lernen sie, ein Ziel zu haben.

Wenn Kinder mit Teilen leben,
lernen sie, großzügig zu sein.

Wenn Kinder mit Ehrlichkeit und Fairness leben,
lernen sie, was Wahrheit und Gerechtigkeit sind.

Wenn Kinder mit Sicherheit leben,
lernen sie, an sich zu glauben und an die,
die um sie sind.

Wenn Kinder mit Freundlichkeit leben,
lernen sie, dass die Welt ein schöner Ort zum Leben ist.

Wenn Kinder mit Gelassenheit leben,
lernen sie, innerlich gelassen zu sein.

Womit leben deine Kinder?
Dorothy L. Nolte

Aus: "Hühnersuppe für die Seele"
Jack Canfield/Mark Victor Hansen

Sonntag, 19. Juli 2009

Wenn ich mein Kind noch einmal aufziehen müsste

Wenn ich mein Kind noch einmal aufziehen müsste:

Würde ich mit dem Finder mehr farbige Bilder malen und weniger damit deuten.
Würde ich weniger kritisieren und mehr bestärken.
Würde ich die Augen von der Uhr abwenden und lernen, mit ihnen zu schauen.
Würde ich mich bemühen, nicht alles zu wissen, aber zu wissen, wie man sich bemüht.
Würde ich meine Sachen liegen und die Drachen fliegen lassen.
Würde ich aufhören, die Ernsthafte zu spielen, um dafür ernshafter zu spielen.
Würde ich mehr über Wiesen rennen und zu den Sternen aufblicken.
Würde ich mehr umarmen und weniger herumstoßen.
Würde ich weniger Stärke demonstrieren und dafür mehr bestärken.
Würde ich erst sein Selbstwertgefühl aufbauen und danach das Haus.
Würde ich es weniger über die Liebe zur Macht und dafür mehr über die Macht der Liebe lehren.
Diane Loomans

Aus: "Noch mehr Hühnersuppe für die Seele"
Jack Canfield/Mark Victor Hansen

Freitag, 17. Juli 2009

Die magischen Steine

Ständiges Nachdenken ist es, was
unser Leben bestimmt. Es beeinflusst
uns mehr als selbst unsere intimsten
Beziehungen. Unsere engsten Freunde
formen unser Leben weniger als die
Gedanken, die wir haben.
J.W.Teal

"Warum müssen wir all diese blöde Zeug lernen?"
Von allen Beschwerden und Fragen, die ich während meiner Jahre als Lehrer zu hören bekam, war dies eine der häufigsten. Ich pflegte sie mit folgender Geschichte zu beantworten:

Eines Abends bereitete sich eine Gruppe von Nomaden zum Schlafen vor, als sie plötzlich von einem überwältigenden Licht umgeben waren. Sie wussten, dass dies die Anwesenheit eines göttlichen Wesens bedeutete. Mit großer Spannung erwarteten sie nun eine himmlische Botschaft von großer Wichtigkeit, die, wie sie wussten, speziell für sie bestimmt sein musste.
Schließlich sprach eine Stimme: "Sammelt so viele Kieselsteine, wie ihr nur könnt. Steckt sie in eure Satteltaschen. Reitet morgen einen ganzen Tag lang, und am Abend werdet ihr glücklich und zugleich traurig sein."
Nachdem die Erscheinung verschwunden war, waren die Nomaden enttäuscht und verärgert. Sie hatten die Offenbarung einer gewaltigen und umfassenden Wahrheit erwartet, die sie befähigen würde, Wohlstand und Gesundheit in der Welt zu schaffen und dem Leben einen Sinn zu geben. Aber statt dessen wurde ihnen eine niedrige Arbeit zugemutet, die für sie völlig sinnlos war. Trotzdem, der Eindruck, den der Glanz ihres himmlischen Besuchers bei ihnen hinterlassen hatte, bewog doch jeden, ein paar Kieselsteine aufzuheben und sie in die Satteltasche zu stecken, während sie noch immer ihrem Missvergnügen Ausdruck verliehen.
Sie ritten dann den ganzen Tag lang, und als sie am Abend ihr Lager aufschlugen, griffen sie in ihre Satteltaschen und entdeckten, dass jeder Kieselstein, den sie gesammelt hatten, zu einem Diamanten geworden war. Nun waren sie glücklich, dass sie Diamanten hatten. Und sie waren traurig, dass sie nicht mehr Kieselsteine gesammelt hatten.

Eine Erfahrung, die ich mit einem Schüler - ich nenne ihn einmal Alan - in meinen Anfangsjahren als Lehrer machte, veranschaulicht für mich den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte.
Als Alan in die achte Klasse kam, war sein Hauptfach Schwierigkeiten bereiten und sein Nebenfach Nichtstun. Er hatte nur gelernt, den brutalen Maulhelden zu spielen, und er hätte jedes Abschlussexamen in Verlogenheit mit Auszeichnung bestanden.
Jeden Tag ließ ich meine Schüler ein Zitat von einem bedeutenden Denker auswendig lernen. Es war meine Methode, ihre Anwesenheit zu kontrollieren. Ich rief einen Namen auf und begann mit dem Anfang eines Zitats. Von dem jeweiligen Schüler wurde erwartet, es zu Ende zu führen.
"Alice Adams: >Es gibt kein Versagen, es sei denn..."
"...du gibst auf.< Anwesend, Mr Schlatter."
Und so hatten sich am Ende des Jahres meine jungen Schützlinge rund hundertfünfzig wichtige Sätze eingeptägt.
"Glaube, du kannst es, glaube, du kannnst es nicht - in jedem Fall hast du recht."
"Wenn du die Hindernisse siehst, hast du das Ziel aus den Augen verloren."
"Ein Zyniker ist jemand, der von allem den Preis kennt und von nichts den Wert."
Und dann natürlich Napoleon Hills: "Was du begreifen und glauben kannst, das kannst du auch erreichen."
Niemand beschwerte sie über diese tägliche Routine mehr als Alan - doch er wurde schließlich aus der Schule hinausgeworfen, und ich verlor ihn für fünf Jahre aus den Augen. Aber eines Tages tauchte er wieder auf. Er nahm an einem speziellen Programm an einem benachbarten College teil und hatte gerade eine Haftstrafe und seine Bewährungszeit hinter sich.
Alan erzählte mir, er sei, nachdem er erst in ein Erziehungsheim und dann in die Jugendstrafanstalt gesteckt worden war, so angewidert von sich selbst gewesen, dass er eine Rasierklinge genommen und sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte.
"Wissen Sie was, Mr. Schlatter", sagte er dann, "als ich da so lag und mir das Leben aus dem Körper rann, fiel mir plötzlich dieses blöde Zitat ein, das Sie mich früher einmal zwangigmal hintereinander schreiben ließen. >Es gibt kein Versagen, es sei denn, du gibst auf.< Plötzlich ergab das einen Sinn für mich. Solange ich lebte, war ich also kein Versager, wenn ich mich aber umbrachte, würde ich mit Sicherheit als Versager sterben. also rief ich mit all meinen verbliebenen Kräften um Hilfe und begann ein neues Leben."
Als Alan damals das Zitat gehört hatte, war es nur ein Kieselstein gewesen. Als er im kritischen Moment Hilfe brauchte, war es zu einem Diamanten geworden. Und so liegt es an Ihnen zu sagen: "Sammle alle Kieselsteine, die du finden kannst, so kannst du auf eine mit Diamanten gefüllte Zukunft zählen."
John Wayne Schlatter

Aus: "Noch mehr Hühnersuppe für die Seele"
Jack Canfield/Mark Victor Hansen

Mittwoch, 15. Juli 2009

Die innere Einstellung ist alles

Jerry war ein Typ, der einem echt auf die Nerven gehen konnte, denn er war immer guter Laune und sah die Dinge immer von der positiven Seite. Wenn ihn jemand fragte, wie es ihm gehe, antwortete er: "Wenn es mir noch besser gehen würde, gäbe es mich zweimal"
Jerry war ein einzigartiger Geschäftsführer, und einige Kellner waren ihm deshalb sogar von Restaurant zu Restaurant gefolgt. Was sie an ihm mochten, war seine innere Einstellung. Er war der geborene Motivator. Wenn ein Mitarbeiter einen schlechten Tag hatte, half Jerry ihm dabei, die positiven Seiten des Lebens zu sehen.
Seine Art machte mich neugierig, und so sprach ich ihn eines Tages direkt darauf an:
"Eines verstehe ich nicht. Sie können doch nicht die ganze Zeit über positiv sein. Wie schaffen Sie das bloß?"
Jerry antwortete: "Jeden Morgen nach dem Aufwachen sage ich mir: >Jerry, du hast heute zwei Möglichkeiten. Du kannst dich entscheiden, gute oder schlechte Laune zu haben.<>Der hat keine Chance.<>Ja, ich bin auf etwas allergisch<, antwortete ich. Die Ärzte und Krankenschwestern hieltne inne, um meine Antwort zu hören. Ich atmete tief ein und schrie: >Auf Kugeln!<>Ich will leben. Operieren Sie mich nicht in dem Gedanken, ich sei schon tot."
Jerry überlebte dank der Kunstfertigkeit seiner Ärzte, aber auch wegen seiner bemerkenswerten Haltung. Von ihm habe ich gelernt, dass wir jeden Tag die Entscheidung treffen müssen, ob wir unser Leben aus voller Kraft leben wollen. Es kommt nur auf die innere Einstellung an.
Francie Baltazar-Schwartz

Gefunden in: "Noch mehr Hühnersüppchen für die Seele"
Jack Canfield/Mark Victor Hansen

Sonntag, 12. Juli 2009

Omas Garten

Jedes Jahr pflanzte meine Großmutter Tulpen in ihrem Blumengarten und sah mit kindlicher Vorfreude deren Frühlingspracht entgegen. Unter ihrer liebevollen Obhut schossen sie in jedem April pflichtgetreu empor, und sie wurde nie enttäuscht. Aber sie sagte, die eigentlichen Blumen, die ihr Leben schmückten, seien ihre Enkel.
Ich allerdings wollte da nicht gleich mitspielen.
Man schickte mich zu meiner Großmutter, bei der ich vorübergehend wohnen sollte, als ich sechzehn Jahre alt war. Meine Eltern lebten in Übersee, und ich war ein sehr schwieriges Mädchen, voller Ärger über sie wegen ihrer Unfähigkeit, mit mir fertig zu werden oder mich zu verstehen. Ich war ein unglücklicher Teenager und drauf und dran, die Schule abzubrechen.
Oma war eine sehr kleine Frau, turmhoch überragt von ihren eigenen Kindern und deren noch nicht erwachsenen Sprösslingen. Und sie besaß eine klassische, altmodischen Anmut. Sie hatte dunkles Haar und eine elegante Frisur. Ihre klaren Augen waren von reinstem Blau; sie strahlten vor Energie und innerer Stärke. Sie war ihrer Familie gegenüber absolut loyal, und sie liebte so tief und aufrichtig wie ein Kind. Trotzdem war ich der Meinung, ich würde meine Großmutter leichter ignorieren können als meine Eltern.
Schweigend zog ich in ihr bescheidenes Bauernhaus ein; mit tief gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen schlich ich umher wie ein misshandeltes Tier. In Bezug auf andere hatte ich resigniert und mir einen dicken Panzer zugelegt. Ich wollte einfach keiner anderen Seele den Zutritt zu meiner privaten Welt gestatten, denn meine größte Angst bestand darin, dass jemand meine wunden Punkte entdecken könnte. Ich war überzeugt, das Leben sei ein erbitterter Kampf, den man besser ohne fremde Hilfe durchfechten sollte.
Ich erwartete nichts von meiner Großmutter, als dass sie mich in Ruhe ließ, und beabsichtigte, ebendies und nichts sonst zu akzeptieren. Sie gab jedoch nicht so leicht auf.
Die Schule begann, aber ich nahm nur manchmal am Unterricht teil. Den Rest meiner Zeit verbrachte ich im Pyjama in meinem Schlafzimmer, wo ich gelangweilt in den laufenden Fernseher stierte. Ohne dies zu beachten, stürmte Oma jeden Morgen zu meiner Tür herein wie ein unwillkommener Sonnenstrahl.
"Guten Morgen!", flötete sie dann und zog fröhlich die Jalousien an meinem Fenster hoch, Ich zerrte mir meine Decke über den Kopf und ignorierte sie.
Wenn ich tatsächlich aus meinem Schlafzimmer hervorgekrochen kam, wurde ich von ihr mit einer Reihe gut gemeinter Fragen bombardiert, die meine Gesundheit, meine Gedanken und mein Ansichten über die Welt im Allgemeinen betrafen. Ich murmelte einsilbige Antworten, aber irgendwie ließ sie sich nicht entmutigen. Ja, genau genommen verhielt sie sich so, als ob meine geknurrten, bedeutungslosen Erwiderungen sie faszinierten. Sie hörte mir mit so viel Ernst und Interesse zu, als wären wir in ein intensives Gespräch vertieft, in dem ich gerade ein spannendes Geheimnis enthüllt hatte. Bei jenen seltenen Anlässen, wo ich zufällig mehr als bloß einsilbige Antwort gab, klatschte sie erfreut in die Hände und lächelte über das ganze Gesicht, als hätte ich ihr ein großartiges Geschenk gemacht.
Zunächst hatte ich den Verdacht, dass sie es einfach nicht kapierte. Doch obwohl sie keine besondere Schulbildung hatte, spürte ich, dass sie durchaus intelligent war. Sie hatte als Achtzehnjährige während der großen Depression geheiratet. In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten hatte sie als Köchin gearbeitet, schließlich ein eigenes Restaurant eröffnet und nebenbei fünf Kinder großgezogen. Dabei hatte sie sich durchaus die nötigen Kenntnisse in Bezug auf das Leben angeeignet.
Darum hätte ich eigentlich nicht überrascht zu sein brauchen, als sie verlangte, ich solle lernen, Brot zu backen. Ich stellt mich beim Kneten derart dämlich an, dass Oma diesen Teil übernahm. Ich durfte aber die Küche erst verlassen, wenn der Brotteig zum Aufgehen hergerichtet war. In genau diesem Momenten, wo sie auf etwas anderes konzentriert war und ich den Blumengarten draußen vor dem Küchenfenster anstarrte, begann ich mit ihr zu reden. Sie hörte mit solcher Gespanntheit zu, dass ich hin und wieder ganz verlegen wurde.
Allmählich, während mir klar wurde, dass das Interesse meiner Großmutter an mir nicht nachließ, öffnete ich mich ihr immer mehr. Ich begann, mich insgeheim unbändig auf unsere Gespräche zu freuen.
Es schien, als sei ein Damm gebrochen. Plötzlich liebte ich es, zu reden. Ich begann, regenmäßig die Schule zu besuchen, und eilte jeden Nachmittag nach Hause, wo sie schon, in ihrem vertrauten Sessel sitzend, lächelnd darauf wartete, dass ich ihr detailliert über jede Minute meines Tages berichtete.
Eines Tages in meinem ersten Schuljahr auf der High School stürmte ich zur Tür herein und verkündete ihr: "Sie haben mich zur Chefredakteurin der High-School-Zeitung gewählt!
Meine Oma hielt den Atem an und schlug die Hände vor den Mund. Bewegter, als ich es hätte sein können, nahm sie meine beiden Hände in die ihren und drückte sie heftig. Ich sah ihr in die Augen, die wie verrückt funkelten. Sie sagte: "Ich hab dich sehr lieb, und bin sehr stolz auf dich!"
Ihre Worte trafen mich mit solcher Wucht, dass ich nicht antworten konnte. Diese Worte bewegten bei mir mehr als tausend "Ich-liebe-dich"-Beteuerungen. Ich wusste: Ihre Liebe war bedingungslos, doch ihre Freundschaft und ihren Stolz musste man sich verdienen. Dass ich beides von dieser unglaublichen Frau erhielt, löste in mir etwas aus. Ich begann, mich zu fragen, ob es denn tatsächlich etwas Liebenswertes und Wertvolles an mir gebe. Sie weckte in mir den Wunsch, mein eigenes Potenzial zu entdecken, und gab mir einen Grund, es zuzulassen, dass andere meine wunden Punkte kannten.
An diesem Tag beschloss ich zu versuchen, so zu leben wie sie - voller Energie und Intensität. Plötzlich entbrannte in mir das Verlangen, die Welt, mein Inneres und die Herzen anderer zu erkunden, so uneingeschränkt und bedingungslos zu lieben wie sie bisher. Und mir wurde klar, dass ich sie liebte - nicht weil sie meine Großmutter war, sondern weil sie eine wundervolle Person war, weil sie mir beigebracht hatte, wie man für sich selbst und für andere sorgt.
Meine Großmutter starb im Frühling, fast zwei Jahre nachdem ich gekommen war, um bei ihr zu wohnen, und zwei Monate, bevor ich an der High School die Abschlussprüfung bestand.
Sie starb umringt von ihren Kindern und Enkeln, die sich an den Händen hielten und eines von Liebe und Glück erfüllten Lebens gedachten. Bevor sie diese Welt verließ, beugte sich jeder von uns über ihr Bett und küsste sie zärtlich. Als ich an die Reihe kam, küsste ich sie sanft auf die Wange, nahm ihre Hand und flüsterte: "Ich hab ich sehr lieb, Oma, und ich bin sehr stolz auf dich!"
Jetzt, während ich mich auf meine Graduierung am College vorbereite, denke ich oft an die Worte meiner Großmutter, in der Hoffnung, dass sie noch immer stolz auf mich ist. Ich staune über die Güte und Geduld, mit der sie mir half, aus einer schwierigen Kindheit herauszukommen und zu einer friedvollen jungen Frau zu werden. Ich stelle mir Oma im Frühling vor, während die Tulpen in ihrem Garten und wir, ihre Sprösslinge, noch immer mit einer Begeisterung blühen, mit der nur ihre eigene sich messen kann. Und ich arbeite weiter, um sicherzustellen, dass sie nie enttäuscht wird.
Lynnette Curtis

Gefunden in: "Noch mehr Hühnersüppchen für die Seele" von Jack Canfield/Mark Victor Hansen


Viel zu oft suchen wir uns Vorbilder, die weit von uns entfernt sind und übersehen dabei die, die uns als Vorbild dienen könnten, welche in unserem unmittelbaren Umfeld leben.

Samstag, 11. Juli 2009

Erwachsenwerden

heißt nicht allein
Pubertätspickel,
Stimmbruch,
Schambehaarung,
eigenes Geldverdienen,
Führerscheinprüfung.

Wären alle, die
das hinter ich haben,
erwachsen,
in Haltung und Verantwortung,
könnte dieser Planet wunderbar sein.

Entnommen aus: "Der ganze Himmel steht uns zur Verfügung"
Verschenk-Texte von Kristiane Allert-Wybranietz
Wer von klein auf
die Bröckchen
der Lüge,
der Verdrängung,
der Ängstlichkeit
gewöhnt ist,

hat an der
Wirklichkeit
irgendwann
ganz schön
zu schlucken.

Entnommen aus: "Der ganze Himmel steht uns zur Verfügung
Verschenk-Texte von Kristiane Allert-Wybranietz

Freitag, 10. Juli 2009

Damals wie heutzutage

Sehr viele sind
UNINFORMIERT -

durch diesen Umstand
auch schnell

UNIFORMIERT.

Entnommen aus: "Der ganze Himmel seht uns zur Verfügung",
Verschenk-Texte von Kristiane Allert-Wybranietz

Montag, 6. Juli 2009

Der Hahn und das vierblättrige Kleeblatt

Vor langer Zeit wurde einmal in Dingle ein großer Jahrmarkt abgehalten, und Leute von überall her kamen herbei. Unter dem Volk war auch ein Schausteller, der ließ einen Hahn die Straße hinauflaufen, und der Hahn zog hinter sich drein einen schweren Balken, der an seinem Bein festgebunden war. Jedenfalls meinten die Leute, dass es ein Balken sei, und alle rannten sie hinterdrein, straßauf, straßab, und zahlten jeder einen Penny, um dieses Wunder bestaunen zu dürfen. Da kam ein alter, kleiner Mann in die Stadt, der auf seinem Rücken eine Last Binsen trug. Er wunderte sich, warum all das Volk dem Schausteller mit seinem Hahn nachlief. Alles, was er sehen konnte, war nämlich ein Strohalm, den der Hahn hinter sich dreinzog. Er meinte, die Menschen müssten verrückt geworden sein, und fragte einige, um sich zu vergewissern, ob noch bei ihm im Kopf alles stimme. Sie antworteten: "Siehst du nicht das große Wunder? Siehst du nicht den gewaltigen, schweren Balken, den der Hahn hinter sich herschleppt?"

"Ach was", sagte der alte Mann unwirsch, "er zieht doch nur einen Strohhalm, was ist da schon weiter dabei."

Streit entstand. Das hörte der Schausteller und ging zu dem Alten hin. Er nahm ihn beiseite und fragte ihn, wie viel er für die Last Binsen auf seinem Rücken verlange.

Der alte Mann nannte eine Summe. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, wie hoch sie war, aber wie hoch sie auch immer gewesen sein mag, der Schausteller zahlte sie, mehr noch , er gab doppelt so viel, wie der alte Mann verlangt hatte.

Sobald der Schausteller ihm die Last Binsen abgenommen hatte, zweifelte der alte Mann abermals an seinen Sinnen, denn nun sah er da, festgebunden an dem Fuß des Hahns, auch einen schweren Balken. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, aber es blieb bei dem Balken.

Der Alte lief aus der Stadt und verstand die Welt nicht mehr. Was er nie erfuhr, war dieses: An der Last Binsen, die er auf dem Rücken getragen hatte, war ein vierblättriges Kleeblatt festgebunden gewesen; das machte ihn die Wahrheit sehen, solange es ihm gehörte.

(aus: Frederik Hetmann [Hg.]: Der Dornbusch in Donegal, Irische Märchen, ISBN 3-89875-032-9)

Gefunden in Matrix 3000, März 2004

Donnerstag, 2. Juli 2009

Wir sind Deutschland

Wir sind Deutschland! Wir sind Papst! Wir sind Weltmeister!

Ja gehts noch?, möchte ich mit Hagen Rether sagen. Ist im Oberstübchen noch jemand zu Haus?

Als ich das erste Mal im Fernseher mit der Kampagne: "Du bist Deutschland" konfrontiert wurde, konnte ich nicht glauben, was ich da sah und hörte. Es präsentierte sich mir ein Filmchen und Menschen sagten Sätze wie: "Du bist die Hand! Du bist 82 Millionen! Du bist die Anderen! Du bist die Flügel! Du bist der Baum! Du bist der Laden!"
Ich starrte ungläubig in den Fernseher und verstand ??? "Bahnhof"

Laut sage ich in den Raum: ICH BIN MARGITTA, habe eine Hand, lebe in Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern, pflege Kontakt mit Anderen, versuche meinem Geist Flügel zu geben, erfreue mich an jedem Baum und gehe in den Laden einkaufen.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so ein Satz einmal ein geflügeltes Wort werden würde. Es ärgert mich jedesmal, wenn ich diese verblödenden Sätze höre oder lese, egal in welchem Zusammenhang. Die ständige Wiederholung dieser Aussagen gibt ihnen Substanz. Im Mülleimer ist meiner Meinung nach der angemessene Platz solcher Worte.

Anstatt unsere Mitmenschen zu ignorieren, sollten wir derlei Mitteilungen überhören, denn sie dienen nur der Manipulation und nicht wie suggeriert wird dem "Wir-Gefühl"

Mittwoch, 1. Juli 2009

Zeitnotitz

Da sagen uns wissenschaftliche Erhebungen - ernst und gewichtig -, wann und wie wir in welchem Bereich normal sind.
Sexuell.
Sozial.
Wissenschaftlich.
Geistig.
Seelisch.

Da erstellen Medienmacher Normen, denen wir nacheifern sollen.
Schönheit.
Schlankheit.
Mode.
Ansichten.
Zeitgeist.

All dies findet auf Papier statt; kaum etwas ist vorgelebt, schon gar nicht von den Wissenschaftlern, den Autoren, den Politikern, den Filmemachern und und und...

Sie erheben nur Ansprüche, entwerfen, kreieren und suggerieren uns, wie unzureichend wir sind.

So sitzen wir schnell in der Falle und sammeln ein Minderwertigkeitsgefühl nach dem anderen.

Entnommen aus: "Dem Leben auf der Spur, Verschenk-Texte von Kristiane Allert-Wybranietz