"... All das bedeutet Arbeit, nichts als Arbeit. Und er spricht über die Geschichte der Arbeit. Während der gesamten Menschheitsgeschichte war Arbeit a priori gegeben. Sie hat die Menschen Jahrtausende lang begleitet, belagert, verfolgt. In den letzten Jahren hat sich dies verändert. Die Arbeit verfolgt nicht mehr. Wir verfolgen sie. Wir fahnden nach ihr. Mit allen Mitteln. Wie nach einem kostbaren Rohstoff. Oder wie Jäger nach Beute. Die eigentliche Arbeit ist heute nicht mehr die Arbeit selbst, sondern die Suche nach Arbeit. Ein arbeitsloser Mensch ist nicht ein Mensch ohne Arbeit. Im Gegenteil. Er ist ein Mensch mit einer ungleich schwierigeren Arbeit, der Arbeit, überhaupt eine Arbeit zu finden. Dies ist die anspruchsvollste Form von Arbeit. Vielleicht gar ihre höchste und vollendetste Form. Arbeitssuche ist ein irreführendes Wort. Sucharbeit ist das Wort. Ein Arbeitsloser leistet fortwährende Sucharbeit. Wenn man will, auch Fahndungsarbeit. Letztendlich trägt er mit seiner - oft aussichtslosen - Arbeit die Arbeit anderer. Dies ist Arbeitsteilung unserer Zeit. Sucharbeit gegenüber gefundener Arbeit. Verfolgung von Arbeit gegenüber Bewahrung von Arbeit. Eroberung von Arbeit gegenüber der Verteidigung von Arbeit. Letzteres ist bei Weitem das Leichtere. Im Vergleich zur Sucharbeit ist die gefundene Arbeit nur noch eine milde Form der Nacharbeit. Reine Absicherung. Verteidigungsmaßnahmen, Befestigungsarbeiten ... Alle Mittel der Arbeitssuche sind deshalb erlaubt. Nicht nur erlaubt, sondern in letzter Instanz notwendig. Alle möglichen oder unmöglichen Wege, Umwege, Seitenwege oder Sonderwege. Jede Finte oder List. Akribie und Ausdauer. Rhetorischen Fähigkeiten, Schauspielfähigkeiten. Überdies analytischen wie strategischen Fähigkeiten. Nerven aus Stahl. Angriffslust. Die Überwindung gewaltiger Bollwerke. Das Anrennen gegen ständige Hindernisse. Das Kapern unzugänglicher Plattformen. Ein Wiederhineinkommen in davon rudernde Boote ..."
Aus: "Schule der Arbeitslosen" von Joachim Zelter
Donnerstag, 15. April 2010
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