Freitag, 18. Juni 2010

Eine Lektion in Menschenführung

"Es kommt nicht darauf an, wer Recht hat, sondern was richtig ist."
Thomas Huxley

Ich bin in Südafrika geboren, zwei Jahre bevor die Apartheid als politisches und soziales System eingeführt wurde. Ich wuchs mit allen Privilegien eines weißen Südafrikaners auf, und man brachte mir bei, dass diejenigen, die die größte Autorität haben, auch über die größte Kompetenz verfügen. Doch an meinem ersten Arbeitsplatz erschütterte ein Mann für alle Zeiten diese irrigen Glaubensvorstellungen.

Im Alter von zwanzig Jahren verließ ich die weißen Strände von Kapstadt, um meine berufliche Karriere in Johannesburg zu starten. In "Egoli", der Stadt des Goldes, wimmelte es nur so vor schwarzen Arbeitern. Wie ich waren sie zum Nabel von Südafrika gekommen, um ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen. Sie arbeiteten - oft unter extremen Bedingungen und ohne Zukunftschancen -, um sich und ihre Familien zu ernähren, die oft Hunderte von Kilometern entfernt in den Homelands lebten. Ich arbeitete hier, weil ich hoffte, dass mein Opfer sich positiv auf meine Karriere in der Managerkaste auswirken würde. Ich arbeitete in einer Fabrik, und zwar jeweils für ein paar Monate in den unterschiedlichen Abteilungen. Am Ende würde ich das Geschäft von Grund auf kennen und bereit sein für die höhere Führungsebene.

In der ersten Abteilung sollte ich - der blutige Anfänger - acht erfahrene Männer beaufsichtigen. Wie konnte einem Neuling plötzlich so viel Verantwortung übertragen werden? Die Antwort im Rassengetrennten Südafrika war einfach: Ich war weiß, und die anderen waren schwarz.

An einem herrlichen Frühlingsmorgen wurde ich gleich nach Arbeitsbeginn in das Büro des Fabrikdirektors Mr. Tangney gerufen. Auf dem Weg zum mit Plüsch ausgestatteten Heiligtum der Verwaltung zitterte ich. Ich wusste, was bislang niemand offen ausgesprochen hatte: Ich war inkompetent. Wochenlang hatte ich die Herstellung von Präzisions-Wasser-Ventilen aus Messing beaufsichtigt. Unter meiner Leitung hatte die Mannschaft einen Ausschuss produziert, der nicht mehr toleriert werden konnte.

"Setz dich, mein Junge", sagte Mr. Tangney. "Ich bin sehr zufrieden mit den Fortschritten, die Sie machen, und ich habe für Sie und Ihre Mannschaft einen Spezialauftrag. Wissen Sie, in diesem Sommer soll es wieder schlimme Hagelstürme geben. Im letzten Jahr hat der Hagel mein Auto und die Autos von drei Direktoren beschädigt. Wir hätten gerne, dass Sie mit Ihrer Mannschaft einen großen Carport bauen, damit unsere Autos in Zukunft besser geschützt sind."

"Aber Sir", stammelte ich, "ich habe keine Ahnung vom Bauhandwerk!" Doch Mr. Tangeney ignorierte meinen Einwand einfach.

Ich gab mein Bestes, um herauszufinden, welche Materialien benötigt wurden. Nachdem ich
sie bestellt hatte und alles angekommen war, machten wir uns an die Arbeit. Die Männer waren außergewöhnlich still und taten genau das, was ich ihnen auftrug. Ich ließ sie Bauholz abmessen, zersägen und zu Platten zusammennageln. Ich stellte mir vor, dass aus diesen Platten die Wände und das Dach entstehen würden. Schließlich waren alle Teile fertig, und es war Zeit, sie miteinander zu verbinden. Ich war nervös, und die Männer sagten keinen Ton.


Während die anderen noch unschlüssig herumstanden, half ich einem von ihnen, Philoman, ein schweres Konstruktionselement zusammenzusetzen. Philoman sprach nur sehr wenig Englich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ihm niemals direkt in die Augen geschaut. Wie die meisten Schwarzen im damaligen Südafrika, so hatte auch Philman - aus Angst heraus, es könne als Herausforderung gedeutet werden - jeden direkten Blickkontakt mit Weißen vermieden. Als wir das schwere Bauteil an seinen vorgesehenen Platz hievten, schauten wir uns notgedrungen gegenseitig an, da wir keine Sprache hatten, um zu kommunizieren und unsere Schritte und Handgriffe zu koordinieren. Ich werde seine Augen niemals vergessen. In unserem Blick verschwand meine Identität als Aufseher, und ich sah nicht mehr einen Schwarzen, der sich mit einer schweren Last abmühte, sondern einen Arbeitskollegen.

Meine Berechnungen waren aber auch diesmal völlig falsch. Als er meine Ratlosigkeit angesichts der Fehlkonstruktion sah, rief Philoman die anderen.

Die Männer versammelten sich um Philoman und redeten und gestikulierten aufgeregt. Ich hatte das Gefühl, sie beschossen über mein Schicksal. Dann nahm Philoman einen Stock und malte ein grobes Schaubild in den Sand, während er dabei die ganze Zeit mit lauter Stimme sprach. Ab und zu machte einer der Männer eine Bemerkung. Ich konnte nur hilflos zuschauen, als sie schließlich unter Pilomans Leitung die Konstruktion korrigierten. Nach ein paar Stunden waren sie zufrieden, und Philoman rief die Mannschaft und mich zusammen. Der Schweiß lief von seinem Gesicht, auf dem ein breites Grinsen zu sehen war, als er zu mir sagte: "Basie, wir sind fertig."

Ich war ihm zutiefst dankbar und werde seine Lektion in Menschenführung bestimmt nie vergessen. Aber Philoman hat noch mehr für mich getan, als er beabsichtigt hatte. Mitfühlend und bescheiden hatte er mir das Wesen des Apartheidsystems gezeigt und die Lüge, auf der es basierte. Status hat nichts mit Kompetenz zu tun. Ein paar Monate später verließ ich meinen Arbeitsplatz als ein junger Mann, der etwas Entscheidendes gelernt hatte.
Dr. phil. Michael Shandler

Aus: "Hühnersuppe für die Seele - in Arbeit und Beruf"
Jack Canfield / Mark Victor Hansen

1 Kommentar:

  1. Als ich in den 90er Jahren in Namibia war, war es mir äußerst peinlich, dass alle schwarzen Namibier vom Fußweg schnippsten, als wir die Straße entlang gingen. Ich habe mich in meiner Haut nicht wohl gefühlt. Mir fiel auch auf, dass auf der Farm, wo wir nach der Rundreise waren, die schwarzen Namibier von südafrikanischen Urlaubern angemacht worden und zwar übelst. Wir weigerten uns dann an den gleichen Tisch mit diesen Rassisten zu setzen. Es war ein ganz zwiespältiges, unbeschreibbares Gefühl, was wir nie vergessen werden. Wer kannte schon als ehemaliger DDRler Apartheit, obwohl es sie offiziell zu dieser Zeit in Namibia nicht mehr gab.

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