Freitag, 26. Juni 2009

Der Ziegelstein

Ein erfolgreicher junger Mann fuhr in seinem neuen Jaguar ziemlich zügig durch ein Wohnviertel. Als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu sehen meinte, drosselte er sicherheitshalber sein Tempo etwas. Aber es erschien kein Kind, stattdessen polterte ein Ziegelstein genau in die Tür seines neuen Jaguars! Der junge Mann bremste abrupt und setzte den Wagen zurück zu der Stelle, wo der Ziegelstein sein Auto getroffen hatte. Wütend sprang er vom Fahrersitz, griff nach dem Kind, das dort stand, und drückte es unsanft gegen das nächste parkende Auto. "Was soll das, und wer bist du" Was zum Teufel treibst du da?! Das ist ein ganz neues Auto, und der Stein, den du da geschmissen hast, wird für deinen Vater ganz schön teuer werden. Warum hast du denn so einen Blödsinn gemacht?!"
Der kleine Junge schaute schuldbewusst. "Es tut mir leid, aber ... ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte." Er schluckte. "Ich habe den Ziegelstein geschmissen, weil einfach keiner angehalten hat..." Die Tränen liefen ihm übers Gesicht und tropften von dem kleinen verdreckten Kinn herab auf den Pullover. Der Kleine wies auf eine Stelle auf dem Bürgersteig hinter einem geparkten Auto. "Mein Bruder! Er ist über die Bordsteinkante gerutscht und aus dem Rollstuhl gefallen, und ich schaff´s einfach nicht, ihn hochzuheben." Der jung Mann stand da wie vom Donner gerührt. "Bitte", schluchzte das Kind. "Bitte, helfen Sie mir, ihn wieder in den Rollstuhl zu setzen? Er hat sich ziemlich wehgetan, und er ist einfach zu schwer für mich."
Tief betroffen versuchte der Fahrer, den schnell wachsenden Kloß in seiner Kehle herunterzuschlucken. Sanft hob er das behinderte Kind, das ihn aus verweinten Augen freundlich anlächelte, in den Rollstuhl, dann tupfte er mit seinem edlen Leinen-Reisehandtuch das Blut von den Schürfwunden. Ein schneller Blick sagte ihm dann, das seine Hilfe nun nicht mehr gebraucht wurde. "Vielen Dank und gute Fahrt! Und - Entschuldigung!", strahlte der kleine Steinewerfen ihn an.
Der Manager nickte stumm und sah zu, wie der kleine Junge seinen Bruder im Rollstuhl den Bürgersteig entlang nach Hause schob. Langsam ging er zurück zu seinem Jaguar. Der Weg kam ihm sehr lang vor. Da war eine ziemliche Beule in der Tür, aber der Fahrer fuhr nicht gleich zur Werkstatt. Die Beule sollte ihm ihre Botschaft noch eine Weile vor Augen halten: "Rase nie so schnell durchs Leben, dass man Steine nach dir werfen muss, um deine Aufmerksamkeit zu erlangen!"

Gefunden in Matrix 3000, Mai 2004

Wieviele "Steine" werden täglich geworfen und keiner bemerkt sie? Und wieviele sind zu müde geworden um noch "Steine" zu werfen? ...

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