Alles, was ich bisher über Marktwirtschaft und Kapitalismus gelesen und gehört habe, konnte mich nicht wirklich überzeugen, ganz im Gegenteil. Die vielen Ungereimtheiten, die im Kern nicht erklärt werden konnten, ließen mich immer skeptischer werden. Ein so lebenswichtiges Thema wie es die Marktwirtschaft ist, muss für jeden verständlich und nachvollziehbar sein. Ist das nicht der Fall, dann ist daran etwas "faul".
Um hier nicht missverstanden zu werden, nicht das Verstehen dessen, was ich über Marktwirtschaft und Kapitalismus gelesen und gehört habe, ist das Problem, sondern dass die Fragen, die ich in den Raum stellte nicht zufriedenstellend beantwortet werden konnten.
Vor etwa zwei Wochen entdeckte ich in dem Magazin "Humane Wirtschaft" den Artikel "Staatsschulden - ein Selbstbetrug" von Robert Pawelke-Klaer, der meine immer noch offenen Fragen schlüssig und einleuchtend beantwortete. Im Grunde bestätigte er mein diesbezügliches Denken und gab mir Argumentationen an die Hand, um meine Vorstellung von einer funktionierenden lebenswerten Gemeinschaft in kommenden Diskusionen überzeugender vermitteln zu können.
An Kritik über die Folgen des Kapitalismus mangelt es wahrlich nicht, jedoch brauchbare Ansätze für eine Marktwirtschaft, die allen Menschen sowie unserem Lebensraum zu Gute kommen, sind rar gesät. Die Erklärungen, Anregungen und Schlussfolgerungen des Autors sind nach meiner Einschätzung stichhaltig und wohlüberlegt. Doch lesen Sie selbst und bilden Sie sich eine eigene Meinung.
Ein Paradigmenwechsel
von Robert Pawelke-Klaer
Was unsere Sichtweise des menschlichen Marktlebens betrifft, so dreht sich darin noch immer die Sonne um die Erde. Wir gehen bei der Betrachtung der Marktwirtschaft - wie einst unsere Vorfahren bei der Betrachtung der Planeten am Firmament - von einer völlig falschen Annahme aus, die es uns unmöglich macht, unser eigenes Wirtschaftsleben und Marktleben zu begreifen. Gleichzeitig verleiten uns unsere Irrtümer zu Verhaltensweisen bei der Arbeit und auf dem Markt, mit denen wir jene Probleme regelrecht produzieren, die wir nach vollbrachter Tat der Marktwirtschaft anlasten. Dabei vergessen wir immer wieder, dass wir selbst die Wirtschaft sind, dass vor und hinter jeder Ladentheke ein Mensch steht, dass es die Menschen sind, welche sich geben, was sie zum Leben benötigen. Und wenn diese miteinander über die Ware und den Preis verhandeln, dann handelt es sich dabei um einen zutiefst menschlichen Vorgang, denn im Mittepunkt solcher Verhandlungen stehen menschliche Bedürfnisse.
Das zentrale Kennzeichen der Marktwirtschaft ist die gesellschaftliche Arbeitsteilung. Dies wird niemand bestreiten können oder bestreiten wollen. Davon gehen die Wirtschaftstheorien aller Couleur aus. Ohne gesellschaftliche Arbeitsteilung kann es keinen Markt geben. Ein Markt wiederum ist unumgänglich, wo gesellschaftliche Arbeitsteilung praktiziert wird. Marktwirtschaft und gesellschaftliche Arbeitteilung sind Synonyme.
Der Ursprung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist die Individualität, die Unterschiedlichkeit der Menschen. Diese Produktionsweise erlaubt es ihnen, sich einer Arbeit zu widmen, die den eigenen Möglichkeiten und Neigungen entspricht. Gleichzeitig befreit sie die Menschen von all den Arbeiten, zu denen sie gar nicht oder nur unter sehr großen Mühen in der Lage wären. Ebenso dient die gesellschaftliche Arbeitsteilung den Menschen dazu, ihre Individualität zu entfalten und auszuleben. An der Arbeitsteilung führt kein Weg vorbei.
Gesellschaftliche Arbeitsteilung bedeutet, dass die Menschen die verschiedenen Arbeiten, die sie verrichten müssen oder wollen, um ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen, untereinander aufgeteilt haben. In einer Marktwirtschaft versorgen sich die Menschen weder selbstständig noch privat, d.h. getrennt voneinander, sondern sie versorgen sich vielmehr gemeinschaftlich, gesellschaftlich. Für den Markt zu produzieren heißt, andere mit einem Gut oder einer Dienstleistung zu versorgen. Auf dem Markt ein Gut oder eine Dienstleistung einzukaufen bedeutet, von der Arbeit anderer zu leben. In einer Marktwirtschaft produzieren wir, was andere konsumieren, und wir konsumieren, was andere produziert haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um unmittelbar materielle Güter und physische Dienstleistungen handelt oder um geistige und kulturelle Güter. Sie sind alle Teile menschlicher Lebensäußerung und menschlicher Bedürfnisse. Wenn es im ZEN heißt, "Wunderwirken, Wunderkraft - Holz hacken, Wasser holen", dann wird damit darauf hingewiesen, dass diese Vorgänge ebenso ein "Wunder" des Lebens sind, wie das Erschaffen und Erleben eines Kunstwerkes.
Nun gilt es, sich auf den angekündigten Paradigmenwechsel einzulassen, ohne den es uns unmöglich ist, das menschliche Wirtschafts- und Marktleben zu verstehen und unsere heutigen Irrtümer zu begreifen, um sie hinter uns lassen zu können. Auch wenn wir bereits mit der Muttermilch die Vorstellung in uns aufgenommen haben, die Marktwirtschaft basiere auf dem Tausch von Gütern und Dienstleistungen, so gilt es, gegen alle Vorurteile zu der Einsicht zu gelangen, dass die Marktwirtschaft nicht auf dem Prinzip des Tauschens, sondern auf dem Prinzip des Teilens aufbaut. In einer Marktwirtschaft verbirgt sich hinter jedem "Tausch" ein Teilen bzw. Verteilen.
Wer vom Tausch ausgeht, der versteht sich und die anderen als unabhängige und selbstständige Teile. Im Gegensatz dazu bedeutet ein Teilen, sich als Teil eines Ganzen zu verstehen. Zwischen diesen beiden Anschauungen liegen Welten. Dass das Teilen das Fundament der Marktwirtschaft bildet, zeigt sich in erster Linie darin, dass wir die unterschiedlichen Arbeiten, die wir verrichten müssen, um unseren Lebensunterhalt zu sichern, untereinander aufgeteilt haben und so die Arbeiten miteinander teilen. Ein Tausch würde voraussetzen, dass wir uns grundsätzlich unabhängig voneinander bzw. selbstständig versorgen und tauschen, was wir an Überschuss produziert haben. Doch in einer Marktwirtschaft produzieren wir ausschließlich und von vornherein für andere. Unsere Arbeit ist ein Dienst am Nächsten. Wir haben mit der Einführung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung unsere Selbstständigkeit zugunsten des Nutzens, der mit dieser Arbeitsteilung einhergeht, "aufgegeben". Dies heißt nicht, dass wir davon ausgehen können, dass es je eine Zeit gegeben hat, in welcher der Mensch ein wahrer Selbstversorger gewesen wäre.
Wo die Menschen die Arbeit miteinander teilen, da kann es sich letztlich auf dem Markt nur um eine Verteilung bzw. um ein Teilen des arbeitsteilig produzierten gesellschaftlichen Reichtums handeln. Daran kann der alltägliche Anschein von "Tauschgeschäften" auf dem Markt nichts ändern. Von einem Tausch kann nur dort gesprochen werden, wo wahre Selbstständigkeit bzw. Unabhängigkeit zwischen den Menschen besteht. Doch davon kann in einer Marktwirtschaft keine Rede sein.
Die Marktwirtschaft beruht auf dem Teilen, das mit dem Teilen der natürlichen Ressourcen beginnt, sich mit dem Teilen der jeweiligen Arbeiten fortsetzt und beim Teilen des arbeitsteilig produzierten gesellschaftlichen Reichtums endet. Das Geld ist daher kein Tauschmittel, sondern ein Verteilungsmittel. Indem wir es als ein Tauschmittel betrachten und damit seine wahre Natur verkennen, kann es zur Brechstange der Macht werden, wie es Friedrich Nietzsche einmal ausdrückte. Diese Macht können wir dem Geld nur dann entziehen, wenn wir einerseits die Marktwirtschaft als eine auf dem Teilen beruhende Wirtschaftsweise begreifen und damit andererseits das Geld als das betrachten können, was es ist, ein Verteilungsmittel.
Nur auf der Grundlage dieses Paradigmenwechsels wird es uns möglich sein, die wahren Irrtümer in unserm heutigen ökonomischen Bewusstsein zu erkennen, um jenen Wandel einzuleiten, nach dem sich nicht alle, aber die meisten Menschen sehnen. Dieser Wandel lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Wir brauchen "nur" mitten in der Marktwirtschaft vom Kapitalismus zur Marktwirtschaft überwechseln. Der Kapitalismus besteht aus jenen Sicht- und Verhaltensweisen, die der Marktwirtschaft unterstellen, dass sie auf dem Tausch beruhe. Der Nutzen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung kann nur dort allen Menschen und das heißt einem jedem Menschen zuteil werden, wo wir von einem Miteinander-Teilen ausgehen. Wir können nicht den Kapitalismus humanisieren, wie es ein Buchtitel suggeriert, sonder wir können nur die Marktwirtschaft humanisieren, indem wir uns der kapitalistischen Sichtweisen und Werte entledigen und uns der Werte der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bewusst werden und sie zu leben beginnen. Wir müssen nicht den Kapitalismus bekämpfen, sondern wir müssen die Freiheiten, welche die freie Marktwirtschaft für uns bereithält, dazu nutzen, die Marktwirtschaft zum Leben zu erwecken, die von uns, wie jede andere Arbeitsteilung, Zusammenarbeit erwartet.
Quelle
Robert Pawelke-Klaer www.marktlehre.de
Paulinchen
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Ufff. Kann ich ja weitflächig zustimmen. Aber warum so viele Worte um eine simple Frage? Ist der Markt für die Menschen da, oder die Menschen für den Markt? Im Moment haben wir letzteres. Geht eigentlich nur darum, dass wieder richtig zu stellen. Der Rest ergibt sich von alleine. Das mit dem Tauschen oder Teilen, bleibt ebenso wie alles andere am Wertigkeitsgefühl der Menschen zu sich selber, und zu anderen hängen. Die Systematik ist eigentlich zweitrangig. Das Gefühl mit der die Mehrheit damit umgeht, entscheidet über Menschlichkeit, oder Unmenschlichkeit. Seine Sicht auf die heutige Marktwirtschaft ist aber auch ein wenig altbacken. Unsere heutige Marktwirtschaft hat weder was mit teilen, noch mit tauschen zu tun. Sie hat etwas mit Profiten zu tun. Und Profit und Ökonomie zusammen, - sind Gift.
AntwortenLöschenLieber Antiferengi,
AntwortenLöschendanke für Deinen Kommentar. Das Wort "altbacken" bringt es auf den Punkt. Nur weil eine Idee alt ist, muss sie ja nicht falsch sein. Das was sich im Laufe der Jahrhunderte daraus entwickelt hat, ist eine Mutation dieser altbackenen Idee. Um diese wieder in die richtige Form zu bringen, ist es nötig, dass jeder Mensch sich damit bewusst ausenandersetzt. Für den einen oder anderen ist die Art wie Robert Pawelke-Klaer das Thema angeht vielleicht der Auslöser eines Aha-Effekt und dann kommt der Rest sicherlich von selbst. Je mehr sich darauf einlassen umso schneller kann eine Änderung eintreten.
Liebe Grüße
Margitta
Ich sehe kaum einen Unterschied zwischen dem Begriff der "Marktwirtschaft" im Sinne von Pawelke-Klaer und dem - von mir aus "altbackenen" - Begriff des "Kommunismus".
AntwortenLöschenUnd *die* zentrale Erfahrung im Bemühen um die konkrete Verwirklichung kommunistischer Verhältnisse innerhalb der sogenannten "freien Marktwirtschaft" ist die Tatsache, dass diese die Freiheit zum Kommunismus eben gerade *nicht* beinhaltet, sondern mit aller Gewalt *bekämpft*.
Wer sich persönlich auf diesen "Paradigmenwechsel" einlässt und ihn zu "leben" versucht, erntet *immer* Polizeigewalt. Generationen von Hippie-Kommunen, Häuserbesetzern, Fahrenden (Leben jenseits von Grundeigentum) usw. usf. können ein Liedchen davon singen. Wer diese Gewalt noch nie selbst erlebt hat, hat noch nie versucht, seine "Freiheit" zum Kommunismus zu nutzen.
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen" hiess das bei Marx und Engels. Und diese omnipräsente Gewalt zu leugnen, heisst, sich zum Komplizen zu machen. In diesem Sinne muss ich Pawelke-Klaer ganz entschieden widersprechen.
@Anonym
AntwortenLöschenDeshalb meinte ich das mit den vielen Worten. Wenn man lange und kompliziert genug an etwas rumdoktort, entsteht irgendwann der Zustand, dass jeder sein eigenes Ding darin sieht, und ein Text wird für alle verwendbar. (So ist das mit den Systemdenkern).
Aber nur weil er jetzt ..."vom Kapitalismus zur Marktwirtschaft überwechseln"... schreibt, muss man jetzt nicht gleich den Gegenpol Kommunismus darin sehen, weil man sich keine Marktwirtschaft ohne Ideologie vorstellen kann. Irgendwelche ZEN-Buddhisten, könnten das Ding dann auch noch entsprechend interpretieren.
Mein Paradigmenwechsel ist da einfacher gesät.
Ohne das Grundgefühl der Menschen zur Menschlichkeit selber, und einer vernünftigen Verhältnismäßigkeit dazu, ist es ziemlich gaga, sich über Systematiken und Ideologien zu unterhalten. Und solche ultimativen Status-Quo Aussagen wie; "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen" ... und jeder der das leugnet, macht sich zum Komplizen, - ist auch nix anderes, als Resignation und Kniefall, vor alten Männern mit Bärten.