Meine Suche nach einer Antwort auf diese Frage führte mich zu einer interessanten, ausführlichen und lehrreichen Rede.
Prof. Dr. Ulrich Beer hat sich mit dem Wesen der Zivilcourage auseinandergesetzt und gibt den Menschen - die ihre "kindliche Neugierde" noch nicht verloren haben - in seiner 45minütigen Rede "Zivilcourage - In Deutschland ein Fremdwort?", Einblicke in seine Erkenntnisse.
Zur Einstimmung für den Interessierten einige Passagen aus der Rede:
"Woher kommt der Begriff der Zivilcourage?
Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt, sagte Otto von Bismark, der damit dieses Wort übrigens in die deutsche Sprache einführte.
Heute ist es in aller Munde, gleich zeitgemäß und unzeitgemäß, viel gelobt und wenig geliebt, leicht gesagt und schwer getan, oft genannt, kaum bekannt und letzten Endes bis heute im buchstäblichen Sinne im Deutschen ein Fremdwort. [...]
Wir wissen es alle, ob wir diplomatisch vorgehen oder nicht, es ist gefährlich aufrichtig zu sein, außer wenn man auch dumm ist, wie George Bernhard Shaw in seinem "Katechismus des Umstürzlers" schreibt. Im entscheidenden Augenblick ist man allein und ob das Recht, das man in sich gegen die Macht, die man um sich oder über sich spürt, immer stärker sein wird, ist ungewiss. Sicher wird man auch Solidarität erfahren, die vielleicht noch am ehesten der Frontkamerad schafft, der Tapferen vergleichbar ist, wenn auch frei von Kumpelei und Spießgesellentum. Man ist verbunden nicht durch äußere Gefahr, unfreiwilliges Zusammensein und gleichen Überlebensinteressen, sondern durch die Sache die es zu vertreten gilt und hat damit eine tiefere Bindung. Diese Gemeinsamkeit gehört zu den schönsten Erfahrungen für den, der einmal außerhalb der herrschenden Konvention gestanden hat und die Menschen nach ihrer Echtheit und Verlässlichkeit zu unterscheiden lernte. Er wird für den Verlust an Anerkennung und Lob, durch das Verständnis und Freundschaft kritischer Köpfe und starker Herzen reichlich entschädigt.
Allerdings gibt es eine ganz andere, aber nicht minder handlungsfähige Solidarität auch auf der anderen Seite. Wenn man Vorrechte und Vorurteile angreift, wird man den merkwürdigen Konsens der Mächtigen kennen lernen, der jeden Versuch zum Widerstand außerordentlich erschweren, ja entmachten kann. Er geht oft quer durch alle etablierten Institutionen. Das liegt nicht nur an Interessen und Privilegien, die vielfach mit einander verflochten sind, sondern auch an einem feiner gesponnenen Netz gegenseitiger Rücksichtnahmen, das nicht minder zäh ist. Schließlich hat man nicht nur selber Bedenken, sondern man muss auch die Bedenken anderer bedenken. Was wird man denken, je nach Ausmaß des Falles, im bischöflichen Ordinariat oder im Landeskirchenamt, im Innenministerium oder auch nur bei der Mehrheitsfraktion im Gemeinderat, dem Vertriebenenverband oder der Berufsorganisation der Schornsteinfeger? Was werden vor allem der Chef oder die Nachbarn, die Presse und das Ausland dazu sagen, das Landvolk und die Frauenverbände? Wer will sich schon mutwillig Ärger auf den Hals holen? Beschwerdebriefe, Telefonate und sich nachher womöglich noch mit allen Leuten herumstreiten?
So stellt sich leicht das Gefühl ein, es nützt ja doch nichts. Ich schade vielleicht anderen und mir selbst und man droht zurückzusinken in den Privatismus, den man eben noch zu sprengen im Begriffe war. Man sagt sich, jeder andere lebt ja auch unauffällig, man tut das Seine, sorgt für das Seine, warum soll gerade ich heraustreten?
Der Privatismus der Übrigen ist nicht nur wegen seiner Ansteckungskraft gefährlich, sondern er schlägt auch plötzlich kollektiv vereint über dem, der sich exponiert, zusammen. Jeder, der nur für sich sorgt, unterstellt das auch jedem anderen. Wer zu feige ist, gegen offenbare Missstände aufzutreten, ist meist auch zu feige, seine Unterstellungen offen auszusprechen. So begegnet der Mutige nur den Spuren des Klatsches oder einer schwer zu fassenden Isolation, mit der jeder rechnen muss, der aus der Konvention heraustritt und sie damit für fragwürdig erklärt.
Das ist nicht weiter schlimm, solange Zweifel und Anfeindung außen bleiben. Schlimm wird es erst, wenn sie unter die eigene Haut gehen und sich mit eigenen Bedenken und Vorwürfen verbinden. Kann es denn sein, dass ich Recht habe und die Mehrheit Unrecht? Normen, die von früher her binden, setzen sich in den Nacken, die Gehorsamsforderung der Gesellschaft, die gerechte Weltordnung die man antastet, wenn man sich gegen eine Autorität oder gegen eine herrschende Meinung stellt. Die Frage, bin ich legitimiert, sind meine Motive lauter, hätte nicht nur ein besserer Mensch als ich ein Recht, diese Sache zu vertreten? Man prüft sich und das ist gut. Manchmal heißt es auch Zivilcourage gegen sich selbst zu üben. Goethe hat recht, wenn er im Tasso sagt: Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor.
Vielleicht legt man die Hand an den Pflug und blickt zurück und das ist schlecht. Die eigene Vergangenheit, die genossene Erziehung vermögen nicht nur zu tragen, sondern auch zu lähmen.
Im Grunde verlangt Zivilcourage psychologisch etwas ganz Paradoxes. Die Vereinigung von Sensibilität, Gerechtigkeitssinn, Mitgefühl auf der einen, und Stärke, Selbstvertrauen, Entschlusskraft auf der anderen Seite. Eine nicht selbstverständliche und darum sicher auch seltene Kombination.
Es gibt keine Zivilcourage in Permanenz. Mitunter liegt sie nur in einem Punkt, in dem sich gereifte Erkenntnis und dunkle Eingebung, Naivität und Kalkül, Spekulation und Faszination treffen. Auch der Mutigste von uns, sagt Friedrich Nietzsche, hat nur selten den Mut zu dem, was er eigentlich weiß.
Es sind immer nur bestimmte Situationen in denen Zivilcourage von uns verlangt wird, auch in demokratischen Gesellschaften. Für die Zivilcourage gilt dasselbe, was Reinhold Niebuhr von der Demokratie sagt: Die Fähigkeit des Menschen zur Gerechtigkeit macht sie möglich, aber die Neigung des Menschen zur Ungerechtigkeit macht sie nötig.
Wenn die Macht auf Seiten des Unrechts und das Recht auf Seiten der Ohnmacht ist, wird Zivilcourage fällig. Bleibt sie aus, so ist im Denken und Fühlen der Menschen die Relation von Macht und Recht schon gestört. Und das ist schlimmer als in den äußeren Verhältnissen oder es wird die Folge sein. Innere Freiheit bei äußerer Unfreiheit, innere Wahrhaftigkeit und private Rechtsgesinnung bei verbreiteter Lüge und herrschendem Unrecht auf die Dauer bewahren zu wollen, ist eine bürgerliche Illusion. Unrecht, das nicht angegriffen, Unwahrheit, die nicht widerlegt, falsche Vorurteile die nicht aufgeklärt werden, verbreiten sich weiter und gelten schließlich als gerechtfertigt. Macht, die als Willkür über die Stränge schlägt, erfordert als Pendant die freie Ohnmacht, die als Zivilcourage über die Stränge schlägt."
Zur Einstimmung für den Interessierten einige Passagen aus der Rede:
"Woher kommt der Begriff der Zivilcourage?
Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt, sagte Otto von Bismark, der damit dieses Wort übrigens in die deutsche Sprache einführte.
Heute ist es in aller Munde, gleich zeitgemäß und unzeitgemäß, viel gelobt und wenig geliebt, leicht gesagt und schwer getan, oft genannt, kaum bekannt und letzten Endes bis heute im buchstäblichen Sinne im Deutschen ein Fremdwort. [...]
Wir wissen es alle, ob wir diplomatisch vorgehen oder nicht, es ist gefährlich aufrichtig zu sein, außer wenn man auch dumm ist, wie George Bernhard Shaw in seinem "Katechismus des Umstürzlers" schreibt. Im entscheidenden Augenblick ist man allein und ob das Recht, das man in sich gegen die Macht, die man um sich oder über sich spürt, immer stärker sein wird, ist ungewiss. Sicher wird man auch Solidarität erfahren, die vielleicht noch am ehesten der Frontkamerad schafft, der Tapferen vergleichbar ist, wenn auch frei von Kumpelei und Spießgesellentum. Man ist verbunden nicht durch äußere Gefahr, unfreiwilliges Zusammensein und gleichen Überlebensinteressen, sondern durch die Sache die es zu vertreten gilt und hat damit eine tiefere Bindung. Diese Gemeinsamkeit gehört zu den schönsten Erfahrungen für den, der einmal außerhalb der herrschenden Konvention gestanden hat und die Menschen nach ihrer Echtheit und Verlässlichkeit zu unterscheiden lernte. Er wird für den Verlust an Anerkennung und Lob, durch das Verständnis und Freundschaft kritischer Köpfe und starker Herzen reichlich entschädigt.
Allerdings gibt es eine ganz andere, aber nicht minder handlungsfähige Solidarität auch auf der anderen Seite. Wenn man Vorrechte und Vorurteile angreift, wird man den merkwürdigen Konsens der Mächtigen kennen lernen, der jeden Versuch zum Widerstand außerordentlich erschweren, ja entmachten kann. Er geht oft quer durch alle etablierten Institutionen. Das liegt nicht nur an Interessen und Privilegien, die vielfach mit einander verflochten sind, sondern auch an einem feiner gesponnenen Netz gegenseitiger Rücksichtnahmen, das nicht minder zäh ist. Schließlich hat man nicht nur selber Bedenken, sondern man muss auch die Bedenken anderer bedenken. Was wird man denken, je nach Ausmaß des Falles, im bischöflichen Ordinariat oder im Landeskirchenamt, im Innenministerium oder auch nur bei der Mehrheitsfraktion im Gemeinderat, dem Vertriebenenverband oder der Berufsorganisation der Schornsteinfeger? Was werden vor allem der Chef oder die Nachbarn, die Presse und das Ausland dazu sagen, das Landvolk und die Frauenverbände? Wer will sich schon mutwillig Ärger auf den Hals holen? Beschwerdebriefe, Telefonate und sich nachher womöglich noch mit allen Leuten herumstreiten?
So stellt sich leicht das Gefühl ein, es nützt ja doch nichts. Ich schade vielleicht anderen und mir selbst und man droht zurückzusinken in den Privatismus, den man eben noch zu sprengen im Begriffe war. Man sagt sich, jeder andere lebt ja auch unauffällig, man tut das Seine, sorgt für das Seine, warum soll gerade ich heraustreten?
Der Privatismus der Übrigen ist nicht nur wegen seiner Ansteckungskraft gefährlich, sondern er schlägt auch plötzlich kollektiv vereint über dem, der sich exponiert, zusammen. Jeder, der nur für sich sorgt, unterstellt das auch jedem anderen. Wer zu feige ist, gegen offenbare Missstände aufzutreten, ist meist auch zu feige, seine Unterstellungen offen auszusprechen. So begegnet der Mutige nur den Spuren des Klatsches oder einer schwer zu fassenden Isolation, mit der jeder rechnen muss, der aus der Konvention heraustritt und sie damit für fragwürdig erklärt.
Das ist nicht weiter schlimm, solange Zweifel und Anfeindung außen bleiben. Schlimm wird es erst, wenn sie unter die eigene Haut gehen und sich mit eigenen Bedenken und Vorwürfen verbinden. Kann es denn sein, dass ich Recht habe und die Mehrheit Unrecht? Normen, die von früher her binden, setzen sich in den Nacken, die Gehorsamsforderung der Gesellschaft, die gerechte Weltordnung die man antastet, wenn man sich gegen eine Autorität oder gegen eine herrschende Meinung stellt. Die Frage, bin ich legitimiert, sind meine Motive lauter, hätte nicht nur ein besserer Mensch als ich ein Recht, diese Sache zu vertreten? Man prüft sich und das ist gut. Manchmal heißt es auch Zivilcourage gegen sich selbst zu üben. Goethe hat recht, wenn er im Tasso sagt: Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor.
Vielleicht legt man die Hand an den Pflug und blickt zurück und das ist schlecht. Die eigene Vergangenheit, die genossene Erziehung vermögen nicht nur zu tragen, sondern auch zu lähmen.
Im Grunde verlangt Zivilcourage psychologisch etwas ganz Paradoxes. Die Vereinigung von Sensibilität, Gerechtigkeitssinn, Mitgefühl auf der einen, und Stärke, Selbstvertrauen, Entschlusskraft auf der anderen Seite. Eine nicht selbstverständliche und darum sicher auch seltene Kombination.
Es gibt keine Zivilcourage in Permanenz. Mitunter liegt sie nur in einem Punkt, in dem sich gereifte Erkenntnis und dunkle Eingebung, Naivität und Kalkül, Spekulation und Faszination treffen. Auch der Mutigste von uns, sagt Friedrich Nietzsche, hat nur selten den Mut zu dem, was er eigentlich weiß.
Es sind immer nur bestimmte Situationen in denen Zivilcourage von uns verlangt wird, auch in demokratischen Gesellschaften. Für die Zivilcourage gilt dasselbe, was Reinhold Niebuhr von der Demokratie sagt: Die Fähigkeit des Menschen zur Gerechtigkeit macht sie möglich, aber die Neigung des Menschen zur Ungerechtigkeit macht sie nötig.
Wenn die Macht auf Seiten des Unrechts und das Recht auf Seiten der Ohnmacht ist, wird Zivilcourage fällig. Bleibt sie aus, so ist im Denken und Fühlen der Menschen die Relation von Macht und Recht schon gestört. Und das ist schlimmer als in den äußeren Verhältnissen oder es wird die Folge sein. Innere Freiheit bei äußerer Unfreiheit, innere Wahrhaftigkeit und private Rechtsgesinnung bei verbreiteter Lüge und herrschendem Unrecht auf die Dauer bewahren zu wollen, ist eine bürgerliche Illusion. Unrecht, das nicht angegriffen, Unwahrheit, die nicht widerlegt, falsche Vorurteile die nicht aufgeklärt werden, verbreiten sich weiter und gelten schließlich als gerechtfertigt. Macht, die als Willkür über die Stränge schlägt, erfordert als Pendant die freie Ohnmacht, die als Zivilcourage über die Stränge schlägt."
Hallo,
AntwortenLöschenein sehr spannendes Thema, diese "Zivilcourage"!
Ein guter Beitrag mit vielen wahren, wichtigen und richtigen Aussagen. Ein paar wenige habe ich nachfolgend mal hervorgehoben:
"Wir wissen es alle, ob wir diplomatisch vorgehen oder nicht, es ist gefährlich aufrichtig zu sein, außer wenn man auch dumm ist, wie George Bernhard Shaw in seinem "Katechismus des Umstürzlers" schreibt. Im entscheidenden Augenblick ist man allein und ob das Recht, das man in sich gegen die Macht, die man um sich oder über sich spürt, immer stärker sein wird, ist ungewiss."
"Im Grunde verlangt Zivilcourage psychologisch etwas ganz Paradoxes. Die Vereinigung von Sensibilität, Gerechtigkeitssinn, Mitgefühl auf der einen, und Stärke, Selbstvertrauen, Entschlusskraft auf der anderen Seite. Eine nicht selbstverständliche und darum sicher auch seltene Kombination."
"Wenn die Macht auf Seiten des Unrechts und das Recht auf Seiten der Ohnmacht ist, wird Zivilcourage fällig."
An vielen Stellen des täglichen Lebens ist meiner Meinung nach "Zivilcourage" immer wieder gefragt. Das beginnt im kleinsten Kreis der Familie, der Verwandtschaft und endet im großen gesellschaftlichen Ganzen.
Ich mag Menschen, die den Mut zur "Zivilcourage" besitzen. Denn meistens macht man sich mit einem offenen und ehrlichen Auftreten, indem man Dinge so benennt, wie man sie selbst sieht, nur wenige Freunde. Es gibt sehr viele "Feiglinge" aus ganz unterschiedlichen Gründen, die sich bei Auseinandersetzungen viel lieber (stark) zurückhalten.
heinka
Hallo Heinka,
AntwortenLöschendanke für Deine Wortmeldung.
Derjenige, der sich den ganzen Vortrag von Prof.Dr. Ulrich Beer anhört, wir noch viel wichtiges zum Thema Zivilcourage erfahren. Besonders beeindruckt hat mich das Fallbeispiel aus Norwegen. Fast ein ganzes Volk stellt sich gegen die Herrschenden und hat Erfolg.
Ich frage mich, ob dieser Erfolg der Grund ist, dass es in unsere Geschichtsbücher keinen Eingang gefunden hat?
Nachdenkliche Grüße
Margitta
Ich finde nicht, dass Zivilcourage psychologisch paradoxes verlangt. Ich finde sie verlangt Ehrlichkeit und Intelligenz. Komisch, dass häufig diejenigen die selbst ums Überleben kämpfen Zivilcourage zeigen. Paradox, dass diejenigen, denen es gut geht, die Augen verschliessen (oder verschließen wollen). Das ist meiner Meinung nach Dummheit und Egoismus.
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