Akkurat am 21. April lieferte ich unser Auto in der Werksatt ab. Inspektion und Räderwechsel - Winter ab, Sommer dran. Der Werkstattaufenthalt bescherte mir Zeit für einen Stadtbummel.
Auf dem Weg zum Kurviertel - ich hatte mir eben eine Pfeife angezündet und bummelte zweifach genießend, nämlich Tabak und Sonne - stellte sich mir eine tief gebeugte graue Gestalt in den Weg: "Ach bitte, ich will Ihnen mal ... und ob Sie mir vielleicht helfen ..."
Von unten herauf huschten graublaue Augen über mein Gesicht, kehrten gleich wieder zurück, und ich sah nur noch das graue Haar über dem grauen Tuchmantel und bemerkte dann, wie die alte Frau in einem Täschchen suchte, das sie neben einem Gehstock in der Hand hielt.
"Sehen Sie, wenn ich was zum ...", die freie Hand bewegte sich, als ob sie ein Werkzeug hielte, "und das da hineindrehen könnten ..." Sie hielt inne, atmete heftig und blickte mich voll an, mit zaghaftem Lächeln. Und irgend etwas nahm mich für mein Gegenüber ein.
"Hm, schrauben geht nicht", stellte ich fest, hielt die beiden Scherenhälften gegeneinander und versuchte, den Nietstift in die Bohrung einzudrücken.
Die Frau sah aufmerksam zu. "Das ist genietet", erklärte ich ihr. Doch gewiss konnte sich die Frau nichts darunter vorstellen. Also legte ich die Schere auf den ebenen Kopf eines Eisenpfostens, bei dem wir standen, und führte ihr den Hammerschlag vor. "Sehn Sie, einen Hammer bräuchte ich, der treibt den Stift über dem Loch auseinander, und der hält dann die Schere zusammen."
"Ach so." Sie schüttelte leicht den Kopf.
Ich kann`s mit dem Feuerzeug versuchen", überlegte ich.
Schon hatte ich das schwere Ding in der Hand. Und während der Ersatzhammer tatsächlich den Stift in die Bohrung trieb, erzählte mir die Frau, sie sei jetzt 84 Jahre alt und ihr Mann vor 29 Jahren verstorben. Nun habe sie niemanden, der ihr behilflich sei, und das Altersheim wolle sie nicht aufnehmen. "Jetzt gehe ich aber hin zum Mittagessen". schloss sie, und wies eine Essensmarke vor.
"So, so. Ins Altersheim, zum Mittagessen", sagte ich und nickte ihr zu und betrachtete dann die silberglänzende Fläche des Feuerzeuges, das wahrlich nicht zum Nieten noch sonstigem Handwerk bestimmt war.
Dennoch war uns die Nieterei soweit geglückt, dass die Scherenhälften nun nicht mehr auseinander konnten. Hocherfreut nahm die alte Dame ihre Schere entgegen.
"Aber zum Schneiden ist es nicht fest genug." Ich wies auf mein Feuerzeug. "Das schafft es nicht, Ist halt kein Niethammer."
Sie lächelte. "Wissen Sie, ich bin ja schon so froh, dass jemand wenigstens Zeit für mich hat. Richtig dankbar bin ich Ihnen."
Bevor wir voneinander schieden, fiel es mir ein: Dort im Altersheim sind doch auch Männer?"
Die Frau sah mich an, zögernd kam es: "Ja, Männer auch."
"Bestimmt auch jemand, der so was kann, hämmern, nieten und so. Wenn Sie heute einfach mal einen der Herren danach fragen, vielleicht macht der Ihre Schere wieder flott", ermunterte ich sie.
Dann sah ich der grauen Gestalt nach und ergrimmte ob des feisten: "In Deutschland gibt es keine Armut!" Indessen war die Tabaksglut ausgegangen. Ein leiser Wind half der Flamme beim Anzünden. Aber nicht jedesmal lehrt mit der Glut auch der Genuss zurück.
Piet Horniss
Mittwoch, 19. August 2009
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen