Mittwoch, 10. November 2010

Alles beginnt im Kleinen

Gestern fand ich die nötige Zeit und Muse mich der neuen Ausgabe des Magazins "Humane Wirtschaft" zu widmen. Im Inhaltsverzeichnis sprang mir die Überschrift: "Die Kultivierung der Großzügigkeit" von Pat Christ ins Auge. Mit jeder Zeile die ich las, wuchs meine Begeisterung und ich entschloss mich beim Verlag nachzufragen, ob ich diesen Artikel auf meinem Blog veröffentlichen dürfe. An dieser Stelle ein HERZLICHES DANKE an Herrn Wilhelm Schmülling für seinen Vertrauensvorschuss.

Möge der Geist dieses Artikels bei den interessierten Lesern/Leserinen auf empfangsbereite Sensoren treffen und seine volle Wirkung entfalten.




Das  Leiden ist vielfältig, seine Ursache rasch ausgemacht: Menschen in dieser Gesellschaft geht es nicht gut, weil von ihnen rastloses Streben erwartet wird. "Wer stehen bleibt, fällt zurück!" warnt ein kapitalistischer Sinnspruch. Es gilt, am Ball zu bleiben. Die Nase vorn zu haben. So will es das herrschende Wirtschaftssystem. Die Unzufriedenheit wächst und mit ihr die Unruhe. Was tun? "Es braucht einen Bewusstseinswandel", sagt der Altphilologe und Philosoph Dr. Werner Peters. Einen Wandel hin zu einer neuen Ethik. 
In seinem Buch "Generosität - Versuch einer Ethik für eine postkapitalistische Gesellschaft" untersucht der Kölner Parteienkritiker die Unzumutbarkeiten des Kapitalismus für den Menschen.  Auf Basis dieser Analysen führt Peters Gründe für ein neues Bewusstsein und damit einhergehend ein neues Lebensgefühl an. Der Kapitalismus, sagt Peters, kennt nur ein Ziel: Es geht darum, mehr und mehr zu bekommen. Mehr Materielles. Mehr Macht. Immer schneller. Immer effektiver. Immer effizienter. 


Ein solches, zum permanenten Kampf jeder gegen jeden animierendes System würde in kürzester Zeit in Chaos münden, würden nicht von außen Regulationsmechanismen hineingebracht. Steuern etwa, Sozialgesetze, Lastenausgleich und Solidaritätszuschläge. Das bremst die kapitalistischen Auswüchse, verhindert aber nicht, dass die dem System ausgelieferten Menschen mit einem geistigen Virus infiziert werden, der sie immer tiefer ins Unglück treibt. 


Mehr und mehr Lebensbereiche, so der ehemalige Politikberater, werden unter das Gebot des Geldes gestellt. Die "Geiz-ist-geil."-Mentalität floriert, die wirtschaftlichen Interessen dominieren jeden Lebensbereich - Soziales, Bildung, Kulturelles. Alles, bis hin zu Wasser und Energie, wird kommerzialisiert, sämtliche Lebensbereiche des Menschen danach durchforstet, inwieweit sie ökonomisch verzweckt werden, inwieweit sich auch damit Gewinne erzielen lassen können. Selbst vor Kliniken und Justizvollzugsanstalten macht die Privatisierungsmaschinerie nicht halt. Ins Private und Privateste wird hineingeleuchtet, um Vermarktungslücken zu entdecken. Was einst selbstverständliche Tat im Zwischenmenschlichen war, wird heute raffiniert als "Dienstleistung" offeriert.


Für ihre Kinder, klagen Eltern, bedeutet es inzwischen oft eine Katastrophe, wenn sie das, was sie jetzt wollen, erst später bekommen sollen. Wunscherfüllung jetzt, Bedürfnisbefriedigung sofort - das kapitalistische System hämmert den Menschen eine areligiöse Diesseitsbezogenheit ein, die jeden Gedanken an Transzendenz als absurd erscheinen lässt. Kapitalistische Pflicht ist es auf Produzentenseite, durch immer effektivere Logistikprozesse alles Gewünschte "just in time", zur Verfügung zu stellen. 


Einen "Rausch" konstatiert Werner Peters, ein "Verrückt-Sein", das den Menschen fern seiner menschlichen Möglichkeiten katapultiert. Der Kapitalismus, heißt es zwar, eröffne Wege zu Emanzipation und Selbstverwirklichung. Doch diese Behauptung lässt sich leicht als Mythos entlarven. Im Labyrinth des Kapitalismus irrende Menschen verwirklichen nichts weiter als die Idee des Kapitalismus, die Idee nach Mehr - mehr Intensität, mehr "Kick". Alles wird, werbepsychologisch aufgepeppt, erlebniskulturell überzogen. Doch warum jeder Einkauf gleich zum "Event" werden muss, lässt sich mit gesundem Menschenverstand schwerlich erklären. 

Überhaupt ist fraglich, ob es tatsächlich das höchste Glück des Menschen seiner Natur gemäß bedeutet, ein möglichst ausschweifendes, intensives, randvoll mit Erlebnissen gespicktes Leben zu führen. In dem andere nur als Vehikel für das Ziel "Mehr" dienen. "Investiert" wird in Beziehungen, die "etwas bringen". Abgegeben wird sich mit denjenigen, bei denen man "auf seine Kosten kommt". Andere Menschen sind dann willkommen, wenn sie den eigenen Spaß erhöhen, das eigene Ich, materiell betrachtet, "bereichern". Besser, nicht zu helfen, als "ausgenutzt" zu werden... 


Kaum bemerkenswert, allenfalls ärgerlich ist, dass regelmäßig in den Medien über den "Werteverlust" lamentiert wird. Lamentieren doch diejenigen am Lautesten, die sich am vehementesten für die kapitalistischen "Werte" Konkurrenzkampf, Elitenbildung, Anpassung, Machtzuwachs und Vorwärtsstreben einsetzen. 


Wobei, und das stimmt durchaus hoffnungsvoll, ein - völlig gewaltloser - Bewusstseins- und Wertewandel hin zu Gemeinschaft und Solidarität zu beobachten ist. Werner Peters verweist auf diejenigen, die ihr geistiges Eigentum unentgeltlich ins Netz stellen. Die Idee der Solidarischen Ökonomie greift um sich, Silvio Gesell, den Peters selbst sehr schätzt, gewinnt immer neue Anhänger, es gibt Tauschringe, nachbarschaftliche Hilfsprojekte und zunehmend mehr Initiativen, die sich für Regionalwährungen einsetzen. 

Alle solchermaßen Engagierte haben etwas Wichtiges begriffen: Das der Mensch in der Zu- und Hinwendung zum Anderen Mensch wird.  Dass er menschlich wird, wenn er seiner Empathie folgt, Gefühle anderer wahrnimmt, spontan reagiert und agiert. Ohne Hintergedanke, was dies nun "bringt". Ob die Investition sinnvoll ist kapitalistischen Axiomen zufolge. 


"Generös" nennt Werner Peters eine solche Haltung, die er sozial und politisch zu kultivieren wünscht. Generosität - ein merkwürdiges Wort. Wörtlich übersetzt bedeutet es "großzügig". Um diese Größe des Menschen, der im generösen Akt über sich hinauswächst, der darin das kleinliche Aufrechnen hinter sich lässt, geht es Peters in seiner postkapitalistischen Ethik.


Wie aber die Menschen davon überzeugen, wie sie soweit bringen, dass sie ablassen von dem sinnlosen Streben nach immer mehr? Angesichts der werbe- und politpsychologischen Bombardements, die nur dazu zu dienen scheinen, dass die Menschen den Überblick über das Wesentliche und Ureigene verlieren, erscheint es als Sisyphusarbeit, die emotionale Selbstamputation kapitalistisch irritierter Zeitgenossen zu verhindern. 

Werner Peters rät gerade auch bei der Implementierung einer Kultur der Generosität zu generösem Handeln. Was bedeutet: Sich selbst großzügig Zeit einräumen. Sich nicht in kapitalistischer Manier auf feste Zielpunkte zu fixieren. Es gilt, klein anzufangen. Den nächsten anzustecken. Die Idee, die neuen Lebenssinn verspricht und Befreiung von kapitalistisch verursachtem Leiden, langsam und ohne Erfolgsdruck Kreise ziehen zu lassen. 


Wer generös an die Aufgabe herangeht, einer neuen Ethik zum Durchbruch zu verhelfen, akzeptiert, dass diese Aufgabe derzeit noch den Charakter eines Kampfes "David gegen Goliath" hat. Viele, die für "das Gute" kämpften, vermochten diese Einstellung leider nicht einzunehmen. So kam es im Laufe der Geschichte immer wieder zu gewaltsamen Aus- und Umbrüchen, die letztlich so gut wie immer in ihr Gegenteil umschlugen, Jahrzehnte alt die Frage: Kann aus Gewalt Gutes entstehen? 

Wer Ghandi zum Vorbild hat, und das sind, mit und neben Werner Peters, viele, die gegen Ungerechtigkeit und für echte Demokratie kämpfen, lehnt Gewalt ab, weil Gewalt zwangsläufig neue Gewalt erzeugt. So auch das Ergebnis einer Studie von Forschern der University of Michigan.  


Anhand des Nahostkonflikts untersuchten die Wissenschaftler, welche psychologischen Wirkungen es hat, wenn jugendliche in einer Atmosphäre der Gewalt aufwachsen. Wenn sie miterleben, wie anderen Menschen Gewalt angetan wird. Wenn sie die Verzweiflung derjenigen sehen, deren Angehörigen Gewalt bis hin zum Mord angetan wurde. Mit Gewalt konfrontiert zu werden, so die Forscher, erzeugt zwangsläufig Gewalt: Solche, die sich in Form von Aggressionen nach außen, oder solche, die sich in Form von Ängsten, Alpräumen und Traumata nach innen richtet. 


Bürgerinnen und Bürger, die ein Stück Welt zu verbessern suchen, indem sie sich ehrenamtlich engagieren, berichten hingegen von den positiven Effekten ihrer "generösen" Freiwilligentätigkeit. Brigitte Schott zum Beispiel, die sich in Würzburg für Obdachlose und Strafentlassene einsetzt, erzählt, auf welch ungeahnte Weise ihr Ehrenamt sie bereichert: "Früher habe ich mir nie Gedanken gemacht, wie Obdachlose eigentlich leben. Heute bewundere ich den Mut dieser Männer. Wie viel Überwindung es doch kosten muss, zuzugeben, dass man Hilfe braucht!"


Brigitte Schott hat etwas erhalten, was ihr keine Fernsehsendung, kein Kinofilm hätte geben können: Einblick in und Verständnis für eine andere Welt. Überraschend schnell, erzählt die Würzburgerin, habe sie es geschafft, das Vertrauen derjenigen zu gewinnen, die durch die kapitalistischen Mechanismen an den Rand gedrängt wurden. 


Diese Erfahrung lässt sich nicht generalisieren. Misstrauen auszusäen, ist "guter" kapitalistischer Stil, schließlich gilt es, im Anderen den tatsächlichen oder potenziellen Konkurrenten zu sehen. Werner Peters: "In der modernen Massengesellschaft hat die Entfremdung zwischen den Menschen eine solche Dimension angenommen, dass gefühlsmäßige Beziehungen, und dazu gehört Vertrauen, kaum mehr aufzubauen sind." Einem anderen Menschen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, diese Idee gilt als "naiv", diese "Übung" wird kaum noch beherrscht, konstatiert der Verfasser des "Kölner Kommunitaristischen Manifests". 


Vertraut wird allenfalls noch dort, wo Schweigepflicht gesetzlich verordnet ist. Wie überhaupt Zwischenmenschliches da noch funktioniert, wo Gesetze greifen. Der generös denkende, fühlende, handelnde Mensch hingegen vermag sich als Sozialwesen auszuleben, ohne auf die Kompassfunktion der Gesetze angewiesen zu sein.


"Der Wert des Menschen wird unendlich dadurch erhöht, dass er fähig ist, sich selbst Gesetze zu geben und diese zu befolgen", betont Werner Peters. Den Akt der Generosität versteht der Gründer der derzeit abgemeldeten "Partei der Nichtwähler" denn auch als ein "selbst gesetztes Gebot", das die Enge der Selbstsucht überwindet und sich neue Freiräume ins Menschliche hinein öffnet.













3 Kommentare:

  1. "...für die kapitalistischen "Werte" Konkurrenzkampf,..."

    Der Kapitalismus ist die Ausschaltung marktwirtschaftlicher Konkurrent durch die Monopole (Zins-)Geld und Boden. Sind diese beiden primären Monopole durch eine freiwirtschaftliche Geld- und Bodenreform beseitigt bzw. unschädlich gemacht, lösen sich auch alle sekundären Monopole (Konzerne) durch vollkommene marktwirtschaftliche Konkurrenz auf, die das einzige Mittel darstellt, um unverdiente Knappheitsgewinne (Zinsen und Renditen) auf Null zu regeln.

    Silvio Gesell beschrieb diesen Sachverhalt so:

    „Man sagt es harmlos, wie man Selbstverständlichkeiten auszusprechen pflegt, dass der Besitz der Produktionsmittel dem Kapitalisten bei den Lohnverhandlungen den Arbeitern gegenüber unter allen Umständen ein Übergewicht verschaffen muss, dessen Ausdruck eben der Mehrwert oder Kapitalzins ist und immer sein wird. Man kann es sich einfach nicht vorstellen, dass das heute auf Seiten des Besitzes liegende Übergewicht einfach dadurch auf die Besitzlosen (Arbeiter) übergehen kann, dass man den Besitzenden neben jedes Haus, jede Fabrik noch ein Haus, noch eine Fabrik baut.“

    Weltbekannt, aber von den Allermeisten noch immer völlig missverstanden, beschrieb Jesus von Nazareth diesen Sachverhalt:

    „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.“

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